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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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meinte ich mit einem entschuldigenden Schulterzucken. »Ich möchte nur deine Freundin sein. Ich denke, du könntest eine brauchen, und verdammt, ja, einen Freund wie dich würde ich mir auch wünschen …«
    Er ließ mich los und wich einen Schritt zurück. Seine schlanke Gestalt schien zu beben.
    »Du würdest nicht so reden, wenn du wüsstest, was ich bin«, flüsterte er. »Du würdest mir nie wieder ins Gesicht blicken wollen. Ich würde für dich zu dem werden, was ich schon für alle anderen geworden bin, ein Geist.«
    »Lass es darauf ankommen.«
    Rainelf stieß ein wütendes Knurren aus und rang mit den Händen. »Tu nicht so, als wäre alles so … einfach. Du hast keine Ahnung!«
    Ich lehnte mich mit verschränkten Armen gegen die Höhlenwand. »Dann klär mich auf.«
    Rainelfs Augen funkelten mir wütend entgegen. »Du bist ein Kind, Ainwa. Und du sprichst mit mir, als wäre ich ein Kind so wie du …«
    Ich richtete mich auf und ließ meine Arme sinken. »Vielleicht bin ich das. Aber du bist es nicht – und doch siehst du so aus …«
    Rainelf strich sich durch sein schneeweißes Haar, dann ließ er sich langsam auf einem Felsen nieder. Ein paar Augenblicke verstrichen, ohne dass irgendjemand etwas sagte.
    »Ich habe deine Eltern gekannt, weißt du?«, flüsterte er schließlich. »Dein Vater … ein kräftiger, kleiner Rotschopf, drei Jahre alt, als ich ihn zuletzt gesehen habe. Er hat meine Schwester Elfgreth geradezu vergöttert, ist ihr überall hin nachgelaufen. Die beiden haben sich ohne viele Worte verstanden. Dein Vater war ein sanftmütiges Kind.« Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Ganz anders als du.« Der Anflug eines Lächelns huschte über seine Miene.
    »Du kommst eher nach deiner Mutter, Ainwa. Walchin war noch sehr klein, als ich fortgegangen bin, ein Baby mit schwarzem Haarschopf und hellen Augen. Ich habe ihr oft Blumen gebracht, weiße Narzissen für ihr dunkles Haar. Sie hat immer gelacht. Ich glaube, ihr gefiel ihre Farbe.«
    Ich schwieg. Es fiel mir schwer auszudrücken, was es für mich bedeutete, etwas über meine tote Mutter zu hören.
    Rainelf lächelte. Für einen Moment sah ich nicht den geisterhaften Rainelf vor mir auf dem Felsen sitzen, sondern einen fröhlichen Jungen mit rosigen Wangen, der die Menschen durch seine bloße Gegenwart glücklich machen konnte.
    »Die Wanifen waren bei den Ata bereits vergessen, als Elfgreth und ich heranwuchsen, aber niemand behandelte uns wie Ausgestoßene so wie dich. Man respektierte uns trotz unserer Jugend als fähige Heiler und sogar die Alten kamen zu uns und baten uns um Rat.
    Wir hatten ein gutes Leben und in einer Welt ohne den Kelpi wären Elfgreth und ich in Ataheim alt geworden, um später dich auf deinem Weg zu begleiten und dich zu unserer Nachfolgerin auszubilden.«
    Ich konnte es mir vorstellen … eine Welt, in der ich niemals eine Ausgestoßene gewesen war, in der mir ein runzliger Rainelf schon als Kind die Geheimnisse der Geisterwelt anvertraute. Eine Welt, in der Gorman nicht als Dämon durch den Wald jagte …
    »Elfgreth und ich teilten eine besondere Verbindung«, sagte Rainelf. »Auch, wenn wir sehr unterschiedlich waren. Ich besaß die schnellere Auffassungsgabe, war lauter als sie. Ihre Stärke war ihr Mitgefühl. Sie spürte geradezu, wenn es anderen schlecht ging, und oft beobachtete ich, wie sich die Leute allein dadurch besser fühlten, dass sie sich zu ihnen setzte, auch wenn sie gar nichts sagte. Manchmal …« Seine Stimme zitterte. »Manchmal frage ich mich, was für einen Seelengeist sie hatte. Es muss etwas sehr Schönes gewesen sein.
    Ich erinnere mich an diese Nacht, als sei es erst gestern gewesen, die Nacht des Blutmonds … In dieser Nacht fühlten wir beide zum ersten Mal die Nähe des Kelpis. Ich hatte große Angst, aber Elfgreth beruhigte mich und nahm mich in den Arm. Sie sagte, wenn wir zusammenblieben, würde uns niemand etwas antun können …« Er seufzte.
    »Zwei Elche fanden uns, als der Mond am Himmel stand. Ich weiß noch immer nicht, woher sie kamen, aber wir fühlten, dass sie uns helfen wollten. Jetzt, da ich weiß, dass sie wirklich existieren, denke ich, die Urukus haben sie geschickt, um uns zu beschützen.«
    Wie recht er hatte … Urgroßvater Schepsi musste ihnen die Tiere damals geschickt haben.
    »Sie trugen uns tief in den Wald, so leise und unauffällig wie Schatten, aber er war einfach zu mächtig, zu schnell, zu stark … Es fühlte sich an, als sei er

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