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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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ihre Richtung treiben. Gorman, Weyref und Andra sollten die Wisentkuh ablenken, während Ainwa die Ehre zufiel, das Kalb zu erlegen.
    Sie konnte die Wildrinder bereits riechen, sie waren also nicht weit weg.
    Es war seltsam. Sogar jetzt war sie mit den Gedanken nicht bei ihrer Aufgabe, sondern dachte an das hustende Atamädchen, das sie gestern gesehen hatte. Der Spitzwegerich, der hier blühte, könnte ihr schnell Linderung verschaffen …
    Ainwa spürte den Tau, den sie beim Gehen von den Gräsern abstreifte. Die Malereien auf ihren Unterarmen waren schon völlig verwischt.
    Der Speer in ihrer Hand fühlte sich fremd an. Sie blickte auf und sah in der Ferne den See in der Morgenröte schimmern.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte Gorman.
    Ainwa umklammerte den Speer fester. Was glaubte Gorman denn, wie sie sich fühlte?
    Was den Umgang mit dem Speer anbelangte, so war Ainwa eine Katastrophe und jegliches Interesse für die Jagd hatte sie immer nur Gorman zuliebe vorgetäuscht. Nur wegen ihm hatte ihr Vater überhaupt zugestimmt, sie zur Jägerin zu machen. »Ich glaube, mir wird schlecht.«
    »Es ist eine Schande, dass wir sie mitnehmen müssen«, fluchte Weyref. »Sie taugt nicht mal für die Jagd auf Schneehühner!«
    Weyref musste nicht zu Gorman aufblicken, obwohl auch er neben ihm schmächtig wirkte. Galsinger hatte oft gelobt, wie geschickt er sich bei der Jagd in unwegsamem Gelände anstellte, wo ihm seine große Beweglichkeit zugutekam.
    »Behalt deine Meinung für dich«, meinte Gorman streng.
    Weyrefs Gesicht lief rot an.
    »Ainwa ist keine Jägerin, Gorman, das weißt du! Nur weil du dir einbildest, ihr Bruder zu sein, heißt das noch lange nicht …«
    Gorman baute sich drohend vor Weyref auf. Ainwa hatte ihn noch nie so gesehen. Seine Miene wirkte verkrampft. Sie hatte Angst, er würde sich auf Weyref stürzen.
    »Hört auf«, rief Andra mit ihrer hellen Stimme. »Verschiebt eure kindischen Streitereien auf später. Sie werden uns jeden Augenblick die Wisente zutreiben.«
    Andra war kaum älter als Ainwa, aber ihre Worte machten Eindruck auf die beiden Jäger. Sie war eines der wenigen Mädchen, das an der Jagd teilnehmen durfte. Mit bewundernswerter Beharrlichkeit hatte sie so lange darauf bestanden, die Jäger begleiten zu dürfen, bis Galsinger sie schließlich ließ – nicht, um sie zur Jägerin zu machen, sondern um ihr die Gefahren zu zeigen, denen die meisten Frauen seiner Meinung nach nicht gewachsen waren.
    Aber Andra hatte sich nicht abschrecken lassen. Sie war geschickt mit dem Speer, furchtlos und hartnäckig, sodass Galsinger nachgegeben hatte und sie seither auf jede Jagd mitnahm.
    »Andra hat recht«, sagte Ainwa. »Wir müssen uns bereit machen.«
    Gorman wandte sich ihr zu. Seine Miene entspannte sich ein wenig.
    »Weyref und Andra, ihr versteckt euch da drüben im Gras. Ich warte hinter dem alten Ahornbaum dort. Wenn die Wisente kommen, greifen wir an. Egal, wie viele kommen, nur das Kalb darf durchkommen. Ainwa, du wartest hier im Haseldickicht!«
    Er lächelte.
    »Heute … bist du die Heldin.«
     
    Ainwa wartete. Die Sonne war gerade aufgegangen und sandte ihre zögerlichen Strahlen über die dampfenden Wiesen.
    Von ihrem Versteck im Haseldickicht aus konnte sie nicht sehen, wo die anderen lauerten. Alles war still.
    Sie musste sich konzentrieren. Wer sagte denn, dass sie eine schlechte Jägerin war? Sie hatte doch noch nie gejagt. Sie würde sich und allen anderen das Gegenteil beweisen … und Gorman stolz machen.
    Ein leichter Wind zog auf. Ainwa hörte ein Flüstern und fuhr erschrocken herum.
    Nichts … da war nichts.
    Natürlich nicht!
    Wieder ein Flüstern, diesmal von der anderen Seite.
    Ainwa packte ihren Speer und ließ sich auf den Rücken fallen.
    Nichts …
    Andere Geräusche. Seltsames Rauschen. Die Äste im Haseldickicht knarzten.
    Sie sah einen huschenden Schatten, aber als sie sich darauf konzentrierte, verschwand er wieder. Ainwa schloss die Augen und hielt sich so fest sie konnte die Ohren zu.
    Es ist nicht wirklich! Nicht … wirklich!
    Ein Luftzug streifte ihre Schulter.
    »Geh weg!«
    Langsam verebbten die Geräusche. Erst als sie nichts mehr hörte, öffnete sie vorsichtig die Augen. Ein Sonnenstrahl fiel durch das Laub auf ihr Gesicht.
    Was immer Alfanger auch sagte, sie bildete sich diese Dinge nicht ein.
    Nach dieser Jagd würde sie zu ihm gehen und es ihm ins Gesicht …
    Panische Rufe unterbrachen ihre Gedanken. Lautes Brüllen.
    »Ainwa!

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