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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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dich auch angegriffen, wenn du nicht gehabt hättest, was er wollte.«
    »Was meinst du damit?«
    Rainelf drückte seinen Daumen fest auf mein Sprunggelenk. Ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht aufzuschreien.
    »Viele Wanifen würden töten für das, was du besitzt. Du musst sehr vorsichtig sein.«
    »Das habe ich bemerkt«, erwiderte ich.
    Ich fühlte, wie er irgendetwas mit meinem Bein tat, das ich nicht sehen konnte. Ich spürte an verschiedenen Stellen ein kurzes Stechen, dann breitete sich eine angenehme Taubheit im Bereich meines Knöchels aus.
    »Rainelf«, murmelte ich. »Wie kann ich einen Menschen retten, der von einem Waldgeist besessen ist?«
    Rainelf musterte mich mit hochgezogenen Augenbrauen.
    »Du fragst seltsame Dinge, Ainwa.«
    »Bitte … ich muss das wissen!«
    »So etwas ist ausgeschlossen. Geister haben weder das Interesse noch die Möglichkeit, menschliche Körper zu besetzen. Was sollen sie auch mit unseren zerbrechlichen Hüllen?«
    »Ich hab es gesehen!«
    Rainelf lächelte matt.
    »Du hast einen schweren Tag hinter dir. Du solltest dich ausruhen.«
    »Nein!«, unterbrach ich ihn energisch. »Ich habe es mir nicht eingebildet. Der Kelpi hat meinen Bruder in einen Waldgeist verwandelt, als er versuchte, mich zu retten!«
    Ein Schatten schien über Rainelfs Gestalt zu huschen, als ich den Kelpi erwähnte.
    »Rede nicht von Dingen, von denen du nichts verstehst! Dieser Waldgeist wurde vernichtet. Von ihm ist nichts geblieben. Danke den Ahnen, dass du ihm nie begegnet bist, sonst wärst du nicht hier.«
    Mit einem Mal fühlte ich eine bleierne Müdigkeit in mir aufsteigen. Ich wollte Rainelf widersprechen, aber es fiel mir mit einem Mal schwer, mich zu konzentrieren.
    »Nein, ich war da. Ich hab es gesehen, er hat … Was passiert mit mir?«
    »Wehr dich nicht dagegen«, murmelte Rainelf.
    Mir fielen die Augen zu, obwohl ich mit aller Macht dagegen ankämpfte.
    »Ich kann nicht … darf nicht … Was hast du mit mir gemacht?«
    »Beruhig dich!«
    »Nein … Er hat ihn gezwungen, sein Blut … zu trinken …«

Kapitel 4
    Frühling, zwei Jahre vor dem Blutmond …
     
     
     
    » B ist du bereit?«, fragte Gorman und musterte sie grinsend.
    Ainwa zögerte. Sie war nun endlich fünfzehn Sommer alt und ihre erste Jagd stand unmittelbar bevor. Die Frauen hatten mit roter Farbe verschlungene Muster auf ihr Gesicht und ihre Arme gemalt und ihr widerspenstiges Haar zu unzähligen, kleinen Zöpfen geflochten.
    »Eine wahre Jägerin«, meinte Gorman.
    Ainwa konnte Gormans Begeisterung nicht teilen, aber ihm zuliebe zwang sie sich zu einem Lächeln.
    Die breite Gestalt Galsingers tauchte hinter Gorman auf.
    »Es wird Zeit, Ainwa«, erklärte der Häuptling. »Deine erste Jagd … Und es wird eine besondere werden. Die Wisente sind dieses Jahr früher zurückgekehrt als sonst. Weyref hat die erste Herde auf den Wiesen des Nordufers gesichtet.«
    »Wisente«, flüsterte Gorman aufgeregt.
    Während die großen Wildrinder im Winter das Seenland nur in geringer Zahl durchstreiften, zogen sie im Frühling in riesigen Herden aus den Ebenen im Osten bis dicht an den See heran, wo sie das üppige Grün der Wiesen lockte.
    Gewaltige Berge aus Muskeln und Hörnern, unberechenbar wie das Wetter im Seenland, und es war mehr als nur einmal passiert, dass sie einen Jäger auf die Hörner genommen oder ihn unter ihren donnernden Hufen zertrampelt hatten.
    Ainwas Mut sank. Sie hatte gehofft, dass sie es bei ihrer ersten Jagd nur mit Tarpanen, Hirschen oder Rehen zu tun bekommen würde.
    »Wir werden vorsichtig sein«, erklärte Galsinger. »Wir können es uns nicht leisten, einen Jäger zu verlieren. Wir werden versuchen, ein Kalb von der Herde zu trennen. Dann kannst du zeigen, was du gelernt hast, Ainwa.«
    »Ja, Vater«, murmelte sie.
    »Komm«, meinte Gorman aufmunternd. »Wir holen deinen Speer.«
     
    Es war angenehm kühl, als Ainwa mit Gorman, Weyref und Andra im Morgengrauen durch das kniehohe Ufergras wanderte. Normalerweise mochte sie den Frühling und bestimmt hätte sie den Anblick der blühenden Wiesen und den süßlichen Duft von Holunder, Linde und Weißdorn genossen, wenn sie nicht gewusst hätte, was sie erwartete. Galsinger und zehn andere erfahrene Jäger würden sich der Wisentherde, die man von ihrer Position aus nicht sehen konnte, von der dem See abgewandten Seite nähern. Sie würden mit einem ausgeklügelten Manöver eine Kuh mit ihrem Kalb von der Herde trennen und sie in

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