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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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sein musste. Eines Tages, wenn sie starben, würde niemand mehr hier sein, um für sie einen Stein aufzustellen.
    »Ihr könntet bei uns leben«, murmelte ich.
    Kauket blies langsam die Luft aus seinen Nasenlöchern.
    »Wirklich? Sag mir eins, Ainwa, du bist bei einem Volk aufgewachsen, für das die Wanifen ins Reich der Legenden gehören. Was warst du für deine Leute? Eine Hexe? Eine Geisterbeschwörerin?
    Was glaubst du, würden sie in Nephtys und mir sehen, mit unserer dunklen Haut, dem rabenschwarzen Haar, der seltsamen Kleidung …
    Feort ist schon lange tot. Kein Ata würde uns heute mehr mit offenen Armen empfangen.«
    Es fiel mir schwer, Kauket zu widersprechen. Schließlich hatte die Ablehnung der Ata auch bei mir dazu geführt, dass ich den Stamm endgültig verlassen wollte, aber dann musste ich an Alfanger denken und meinen Ziehvater … Sie würden Kauket und Nephtys bestimmt aufnehmen, wenn sie die Wahrheit über die Urukus erfuhren.
    »Nephtys und ich werden hierbleiben«, erklärte der Uruku. »Hier ist unser Zuhause.«
    »Ainwa. Kauket.«
    Ich wandte mich ruckartig um. Nephtys lief am Seeufer entlang auf uns zu und strahlte.
    Über ihrer Schulter hing der blutverschmierte Körper eines jungen Rehs.
    »Ich habe schon in der Hütte nach euch gesehen. Schaut her, ich hatte Glück!« Sie lud das Reh mit einer schwungvollen Bewegung auf dem Boden ab.
    In der Brust des Tieres klaffte eine breite Wunde.
    »Du musst sehr geschickt mit dem Speer sein«, sagte ich.
    Nephtys lachte.
    »Neben euch ist es ja auch einfach zu glänzen.«
    Ich warf einen Seitenblick auf Kauket und verstand nicht ganz, was Nephtys meinte.
    Kauket war deutlich größer als ich und unter seinem faserigen Gewand zeichneten sich Muskeln ab, die seine Bewegungen geschmeidig und kraftvoll wirken ließen. Er musste ein großartiger Jäger sein.
    »Du liebst es, damit zu prahlen«, stellte Kauket trocken fest.
    »Lass mir doch diese Kleinigkeit, Wanife.« Nephtys stupste ihn liebevoll in die Seite. »Wenigstens diese eine Sache, in der ich dir überlegen bin.«
    »Sei nicht albern«, sagte Kauket ungehalten.
    »Bist du denn keine Wanife?«, fragte ich Nephtys.
    »Dann wäre aus mir bestimmt keine so gute Jägerin geworden. Wanifen sind die lausigsten Jäger, die das Seenland zu bieten hat.«
    Was mich anbelangte, so konnte ich ihr nur von ganzem Herzen zustimmen. Vor Kauket wollte ich diese Schwäche allerdings nicht zugeben.
    »Geh niemals mit ihm jagen, Ainwa.« Nephtys kicherte. »Eher stellt er sich vor das Tier hin und spricht mit ihm, als dass er es erlegt.«
    »Das reicht jetzt«, meinte Kauket bestimmt. »Du behinderst uns nur bei der Ausbildung.«
    Seine Worte hatten anscheinend gesessen. Nephtys’ Lachen erstarb.
    »Gut, ich warte auf euch.« Sie bückte sich und hängte sich das erlegte Reh wieder über die Schulter. Mit langsamen Schritten ging sie davon.
    »Sie wollte nur nett sein«, sagte ich, als sie außer Sichtweite war.
    »Sie weiß nie, wann es genug ist.« Kauket schnaubte. »Aber was das Jagen angeht, hat sie leider recht. Du wirst es selbst erlebt haben, Ainwa. Wir taugen zu vielen Dingen, aber einen Wanifen auf die Jagd mitzunehmen, ist nie eine gute Idee.«
    »Was ich nicht kann, weiß ich«, behauptete ich. »Ich muss wissen, was ich kann.«
    Kaukets Blick flog prüfend über meine Gestalt.
    »Nichts …«, erwiderte er kühl. »Aber das werden wir ändern.«
    Ich folgte Kauket tiefer in den Wald hinein, den Lauf eines kleinen Baches entlang.
    »Ein Wanife ist ein Mischwesen. Wir sind in dieser Menschenwelt zu Hause, aber ein Teil von uns ist immer mit der Welt der Geister in Verbindung. Wir sind zwiegespaltene Naturen, hin- und hergerissen zwischen zwei Welten. Ein Wanife zu sein, ist nicht immer leicht. Meine Eltern wussten, was ich war, schon sehr früh, und obwohl sie mir ihre Liebe und Unterstützung schenkten, war es oft … beängstigend für mich. Was du im See gesehen hast, die Geräusche, die du gehört hast, wenn du allein warst, all das war Teil der Geisterwelt. Diese Welt ist hier, überall um uns herum, allgegenwärtig, und doch von der unseren getrennt wie durch einen dünnen Schleier. Dort sind die Geister alles andere als fahle Schatten. Sie sind die Verkörperung der Naturkräfte und wie die Kräfte der Natur können sie alles sein, sanft, lieblich, dunkel und auch zerstörerisch.
    Ganz gleich, was du glauben magst, genauso wenig wie ein Mensch ist ein Geist von Grund auf gut oder böse. Die

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