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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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Beeren.
    Nachdem ich mich auf ihre Anweisung hin niedergelassen hatte, brachte sie einen tönernen Behälter nach dem anderen, alle gefüllt mit den verlockendsten Speisen, die ich mir vorstellen konnte. Meine Augen quollen vor Hunger fast über, als mir der Geruch von in der Glut gebratenen Schneehühnern in die Nase stieg, die Nephtys offenbar mit wildem Thymian gewürzt hatte. Ich ließ mich nicht lange bitten und schnappte mir einen der wohlriechenden Vögel. Als ich den ersten Bissen von dem knusprigen Fleisch in den Mund nahm, schmeckte ich süßen Waldhonig, mit dem Nephtys die Haut der Schneehühner bestrichen haben musste. Ich glaubte, ich hatte noch nie etwas Besseres gegessen.
    In einem anderen Topf fand ich gekochte Steinpilze und Pfifferlinge vermischt mit frischer Brunnenkresse. Aus einem weiteren Gefäß förderte ich frische Himbeeren mit Honig und Minzblättern zutage.
    Ich hatte noch nie Kräuter auf diese Weise verwendet. Bisher hatte ich sie immer nur gebraucht, um Krankheiten zu heilen, aber Nephtys schien Vergnügen daran zu finden, damit den Genuss ihrer Speisen zu erhöhen.
    Gierig stopfte ich so viel wie möglich in mich hinein. Immerhin konnte eine ausgelassene Mahlzeit im Seenland bedeuten, dass man nicht genug Reserven für den Winter hatte.
    Nephtys beobachtete mich mit sichtlicher Freude, während Kauket mit unnahbarer Miene über mich hinwegzublicken schien.
    Erst als ich glaubte, nicht einen Bissen mehr hinunterwürgen zu können, setzten sie sich mir gegenüber auf ein Felllager.
    »Das Fleisch … alles. Hast du es gerade eben zubereitet?«
    Nephtys lächelte.
    »Ich wollte, dass du dich wie Zuhause fühlst, wenn du kommst.«
    »Aber woher habt ihr gewusst, dass ich kommen würde?«
    Nephtys lachte.
    »Du hast mein Rätsel gelöst, Ainwa. Du hast den Wasserfall gefunden, das Erlenfeuer entzündet und es mit den Schwämmen zum Rauchen gebracht. Kauket hat die Rauchsäule entdeckt und sich gleich auf den Weg gemacht.«
    »Ich sollte die Schwämme ins Feuer werfen?«, rief ich und griff mir an die Stirn.
    »War das etwa schwer zu verstehen?«, fragte Nephtys und warf Kauket einen fragenden Blick zu.
    Kauket rollte mit den Augen und wandte sich ab.
    »Wozu dann die Orchideen?«, fragte ich.
    »Oh. Sie sind so wunderschön. Ich habe mir gewünscht, sie blühen zu sehen.«
     
    Trotz meines Protests bestand Nephtys darauf, dass ich mich zuerst ausruhte, bevor sie mir weitere Fragen beantwortete. Tatsächlich machten mich mein gefüllter Magen und die Wärme der Hütte noch schläfriger, als ich ohnehin schon war, und ich musste mich, während wir sprachen, regelrecht zwingen, die Augen offen zu halten.
    Was die beiden Urukus anging: Ich hatte beschlossen, ihnen vorerst zu vertrauen. Kauket hätte mich in der Höhle sehr leicht in die Irre führen können und Nephtys’ offenherzige Art schien ehrlich. Sie hatte für mich ein Felllager vorbereitet in derselben Hütte, die auch Kauket und sie bewohnten. Es bestand aus mehreren Schichten einfacher Hirschfelle und einem weichen Bärenpelz als Decke. Bei den Ata waren Bärenpelze sehr kostbar. Wenn man einen haben wollte, musste man erst einmal einen Bären töten, und das war ein sehr riskantes Unterfangen. Das führte dazu, dass nur die wagemutigsten Jäger einen Bärenpelz ihr eigen nennen konnten … und Nephtys gab ihn mir, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.
    Kaum hatte ich mich auf dem weichen Lager ausgestreckt, fielen mir auch schon die Augen zu, und ich sank in einen erholsamen Schlaf.
     

 
    Ich blinzelte, als mich die hellen Rufe eines Haubentauchers weckten. Dunstiges Licht fiel von draußen in die Hütte. Ich atmete tief ein und füllte meine Lungen mit kühler Morgenluft, die nach allen möglichen Kräutern duftete.
    War es wirklich noch Morgen? Ich fühlte mich so ausgeruht.
    Ich setzte mich auf und reckte mich genüsslich.
    »Wie hast du geschlafen, Ainwa?« Kauket saß im Schneidersitz auf seinem Felllager und beobachtete mich aufmerksam. Er trug eine Hose und ein leichtes Hemd aus demselben faserigen Material wie die Kleidung seiner Schwester. Ich fragte mich, wie lange er wohl schon dasaß.
    »Ausgezeichnet«, murmelte ich. »Anscheinend war ich weniger erschöpft als erwartet. Es ist immer noch früh am Morgen.«
    Kaukets Mundwinkel bewegten sich leicht nach oben. Diesmal war ich überzeugt davon, dass er lächelte.
    »Du hast einen Tag und eine Nacht lang geschlafen.«
    Ich senkte verlegen den Blick.

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