Die Wanifen
hatte.
Ich stapfte zurück zum Seeufer. Die Elchkuh und ihr Kalb standen auf der anderen Seite des Sees und beäugten mich misstrauisch. Ich mochte Elche, auch wenn sie manchmal gefährlich werden konnten, sie hatten etwas Sanftes an sich. Ich setzte meinen Weg entlang des Ufers fort, war nun aber etwas mehr auf der Hut.
Diesmal wurde ich nicht weiter behelligt, und als ich das letzte Weidengestrüpp zur Seite bog, das mich noch vom Dorf trennte, überkam mich ein Anflug von Stolz.
Das Gefühl währte genau so lange, bis ich die menschenleere Wiese erblickte, genau dort, wo noch am Morgen die Hütten der Urukus gestanden hatten.
Ich traute meinen Augen nicht. Verwirrt rannte ich auf die Wiese und drehte mich im Kreis. Nichts – kein Dorf, keine Hütten, kein Kauket, keine Nephtys.
War ich am falschen Ort? Unmöglich! Ich konnte von hier aus den ganzen See überblicken und hätte das Dorf auf alle Fälle sehen müssen, selbst wenn ich auf der verkehrten Seite des Sees gestanden hätte.
»Kauket, du Mistkerl, was hast du getan?« Mir war schleierhaft, wie Kauket das Dorf vor mir hätte verstecken können. Jede Spur der Siedlung zu verwischen, hätte doch Monate gebraucht.
Ein flaues Gefühl breitete sich in meinem Inneren aus. Das Tal, das in der schwindenden Abendsonne glitzerte, wirkte plötzlich unheimlich. Kaum hatte ich den Gedanken gedacht, hörte ich auch schon wieder das laute Bersten im Wald, begleitet von zornigem Gebrüll. Der Bär! Ich blickte mich verzweifelt um.
Die Wiese und das angrenzende Kiesufer boten keine Deckung – also rannte ich auf den Waldrand zu und schaffte es gerade noch, mich hinter dem Stamm einer alten Eiche zu verstecken, als der Bär durch das Unterholz brach und mit einem gewaltigen Satz auf die Wiese hinaussprang.
Ich hielt für einen Augenblick den Atem an, als ich seine zottelige Gestalt erblickte.
Die gebogenen Steinbockhörner, die furchterregende Fratze … Dieses Ding war so wenig ein Bär wie ich ein Rehkitz.
Vor mir, auf der leeren Dorfwiese der Urukus, stand derselbe Geist, den der Streuner gerufen hatte, um mich zu töten – der Percht.
Meine Lippen formten seinen Namen völlig lautlos, doch der riesige Schädel des Perchts ruckte sofort in die Höhe.
Vielleicht war er mir schon seit Tagen auf den Fersen, um den Tod seines Herrn zu rächen.
Die gelben Augen des Perchts glitten forschend über den Waldrand, während seine lange Zungenspitze aufgeregt über sein Kinn strich.
Ich fluchte innerlich. Den Percht anzugreifen brachte nichts – das hatte ich schon probiert – und wenn ich weglief, tja … wohin? Es gab kein Dorf mehr, und die Urukus waren verschwunden. Zurück zur Lichtung, schoss es mir durch den Kopf. Dort hatte ich Kauket zum letzten Mal gesehen. Er würde erwarten, dass ich dorthin zurückkehrte, falls ich das Dorf nicht fand.
Gut … jetzt musste ich nur noch dieses Ding loswerden. Der Percht hatte sich inzwischen zu seiner vollen Größe aufgerichtet und lief mit erstaunlicher Geschwindigkeit auf die Eiche zu, hinter der ich mich versteckt hielt.
Mist! Anscheinend hatte mich dieses vermaledeite Vieh gewittert.
So schnell ich konnte, hob ich einen Stein auf und warf ihn auf den See hinaus. Der Percht fuhr mit einem lauten Brüllen herum, als er das Platschen des Steins hörte. Mit einem gewaltigen Sprung katapultierte er sich zurück ans Seeufer.
Ich rannte los. In etwa fünfzig Metern Entfernung hatte ich eine dichte Hecke erblickt. Schlehe, Weißdorn … verdammt, wie sollte ich denn aus dieser Entfernung erkennen, ob auch ein Holunderbusch dabei war?
Ein enttäuschtes Heulen erklang hinter mir.
Da! Weiße Dolden.
Ich ließ mich blitzschnell unter den Busch rollen und hielt den Atem an.
Ich roch den intensiven Moschusgeruch des Perchts und hörte seine stampfenden Schritte. Wenn er mich bei meiner Flucht gesehen hatte, würde mir wohl auch die schützende Wirkung des Holunders nichts nützen, und ich bereitete mich darauf vor, gepackt und unter dem Busch herausgezogen zu werden.
Die Schritte des Perchts verlangsamten sich. Direkt vor meinem Versteck erkannte ich seine zotteligen Beine, die in gespaltenen Hufen endeten.
Er hatte mich offenbar noch nicht bemerkt und sah sich unschlüssig um. Nach ein paar Augenblicken der Stille stieß der Percht ein zorniges Knurren aus und stampfte mit einem Bein ein paar Mal auf den Boden, dann lief er zum Seeufer und begann unter lautem Gezeter, Steine in den See zu werfen, die so
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