Die Wanifen
Entschlossenheit schlug er Funken aus seinen Feuersteinen, bis der Zunder zu rauchen begann.
Als das Feuer brannte, ließ er Wasser in einem großen Tontopf aufkochen.
»Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen einem Heiler und einem Wanifen«, begann er und streute ein paar weißliche Pilze ins Wasser. Ich folgte der Bewegung mit skeptischem Blick.
»Waren das gerade Kahlköpfe?«
»Ein Heiler«, sprach er weiter, ohne auf meinen Einwand zu achten, »lernt, wie er eine Krankheit behandelt.« Er ließ ein paar getrocknete Fliegenpilze ins kochende Wasser fallen.
»Ein Wanife dagegen«, er blickte auf und fixierte mich, »erkennt es.«
»Was ist der Unterschied?«
»Das wirst du bald am eigenen Leibe erfahren«, meinte Kauket belustigt.
»Wozu dient dieser Trank? Fliegenpilze sind giftig, Kahlköpfe lassen einen Dinge sehen, die nicht da sind.«
Er lächelte ein wenig.
»Hat dir das der Heiler beigebracht?«
Ich warf ihm einen wütenden Blick zu. Es passte mir nicht, wie er Alfangers Art zu heilen belächelte.
»Er hat dich gut ausgebildet. Heute wirst du eine neue Sichtweise kennenlernen.«
»Und der Trank?«
Kauket beugte sich kurz über den Topf, roch an dem Dampf und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück.
»Achte nicht auf ihn. Es wird noch eine Weile dauern, bis er seinen Zweck erfüllt.
Als du noch ein Mädchen warst, hast du da manchmal instinktiv gewusst, wie du eine Krankheit behandeln kannst?«
Ich glaubte, trotz der Wärme des Herdfeuers verlor mein Gesicht an Farbe.
»Kann sein«, flüsterte ich.
»Normalerweise handelt es sich um Kleinigkeiten, du braust einen Trank gegen eine Erkältung, den du nicht kennen kannst, oder bringst eine kleine Wunde dazu, weniger zu bluten.«
Er blickte mich erwartungsvoll an.
»Bei mir war es … etwas anders.«
Kapitel 9
Heilen – Zwei Sommer vor dem Blutmond …
A inwa hatte keine Ahnung, wo sie war – aber die Gerüche, die ihr in die Nase stiegen, weckten ein Gefühl der Geborgenheit. Thymian, Holz, Rauch …
Ein stetes Plätschern drang an ihre Ohren. Sie schlug die Augen auf und erblickte ein Schilf gedecktes Dach.
Alfangers Hütte … Alfangers Hütte?
Ainwa stemmte sich ein wenig in die Höhe. Ihre Schulter schmerzte, aber jemand hatte die klaffende Bisswunde bereits gereinigt und eine intensiv riechende Kräuterpaste aufgetragen.
Wie war sie hierhergekommen?
Sie griff sich an die Stirn. Ihre Erinnerungen wirbelten durcheinander wie Schneeflocken im Sturm. Sie erinnerte sich an ihren Weg durch die Dunkelheit, die Wölfe, die unsichtbare Kreatur im Wald. Die Klamm, Gorman, der sterbend am Ufer gelegen hatte …
»Hilf mir sterben, Ainwa«, hatte er gestöhnt.
Und dann …?
»Ainwa?«
Die Stimme war schwach, aber sie hätte sie überall wiedererkannt.
»Gorman?«, flüsterte sie und blickte sich um.
Gorman lag auf einem Felllager nur wenige Schritte neben ihr. Er war mit einem Bärenfell zugedeckt, damit er nicht fror. Seine glänzenden Augen sahen sie an.
»Sie sagen, du hast mich den ganzen Weg zurückgetragen …«
Ainwa lächelte und schüttelte den Kopf.
»Dazu bist du doch viel zu schwer.«
Gorman starrte sie nachdenklich an.
»Trotzdem hast du’s geschafft. Die ganze Nacht hindurch … hast du mich durch den Wald getragen.«
»Ich bin nicht sicher, was passiert ist«, gab sie zu.
Gorman lächelte. Für einen Moment schien sein Blick durch sie hindurchzugehen.
»Als ich dort lag, ganz allein … ich hab gewusst, dass ich bald sterben würde, und hab darauf gewartet, aber stattdessen bist du gekommen, meine Kleine – und hast mich zurückgeholt.«
Er hob seine Hand und ergriff ihre. »Es bedeutet mir viel«, murmelte er. »Jetzt kann ich alle noch einmal sehen – besonders dich. Viel zu selten … hab ich dich gesehen.«
Ainwa schluckte.
»Warum redest du so seltsam?«
»Weil ich nicht viel Zeit habe«, antwortete Gorman.
Als er ihren fragenden Blick bemerkte, schlug er das Bärenfell zur Seite.
Ainwa beugte sich über sein Bein und biss sich so fest auf die Lippen, dass sie Blut schmeckte. Im Tageslicht, das durch den Eingang in die Hütte fiel, sah die Verletzung noch viel schlimmer aus als damals im Wald. Um den offenen Bruch und die hervorstehenden Knochenstücke an seinem Unterschenkel hatte sich sein Fleisch dunkel verfärbt, an manchen Stellen sogar schwarz. Von den Rändern der Wunde liefen rote Striemen sein Bein hinauf. Es schwindelte Ainwa und sie musste mit aller
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