Die Wanifen
überlegt hatte und jetzt nach mir suchte?
»Nur einmal habe ich eine flüchtige Präsenz in der Geisterwelt gespürt. Vermutlich ein Hermelinenwór«, sagte Kauket.
»Wir sollten jetzt aufhören. Ainwa kommt bald zurück. Ich will nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen macht.«
Ich wartete noch eine Weile, dann betrat ich die Hütte.
Nephtys saß auf ihrem Lager und flocht eine Reuse aus Weidenzweigen, während Kauket ihr auf seinen Stab gestützt zusah. Beide blickten auf, als ich eintrat.
Ich hob Kaukets prall gefüllten Beutel in die Luft und ließ ihn auf den Boden fallen. Ein paar grüne Blätter flatterten auf den Lehmboden der Hütte.
Nephtys sprang auf.
»Du hast es geschafft«, rief sie und strahlte.
Ich erwiderte ihr Lächeln.
»Schau, Kauket, Ainwa hat uns den Frühling gebracht«, rief sie und legte ihrem Bruder die Hand auf die Schulter.
Kauket nickte unmerklich. »Gut.«
Das erhoffte große Lob blieb aus.
»Iss eine Kleinigkeit, dann wenden wir uns Schwierigerem zu.«
Er ging an mir vorbei und verließ die Hütte.
Nephtys folgte ihm mit einem missbilligenden Blick. Ihre Miene wurde sofort weicher, als sie sich mir zuwandte.
»Ich werde eine Suppe daraus kochen. Wenn ihr zurückkommt, ist sie fertig.«
»Danke«, murmelte ich. Ich stopfte mir rasch ein paar getrocknete Schlehenbeeren in den Mund und folgte Kauket zurück zum Kraftplatz.
Der Rest des Tages brachte mich einmal mehr an den Rand der Erschöpfung. Kauket verlangte mir alles ab. Zu Anfang durfte ich noch auf dem Kraftplatz bleiben und musste dort alles wachsen lassen, dessen Samen Kauket ausstreute. Buschwindröschen, Scharbockskraut, Herbstzeitlose … bald war der Kraftplatz bedeckt von einem Meer bunter Blumen. Je besser ich wurde, desto mehr Genauigkeit verlangte er.
Ich musste Schlehenbeeren so lange reifen lassen, bis Kauket ihren Geschmack akzeptabel fand. Ich brauchte viele Versuche, ehe ich es einigermaßen hinbekam. Der Trick bestand darin, das Wachsen genau im richtigen Moment zu unterbrechen – eine Sache von wenigen Augenblicken.
Auch wenn Kaukets Aufgaben mich an meine Grenzen brachten – ich liebte es. Ich übte wie eine Besessene, immer und immer weiter. Und wenn die Blüte eines Bäumchens oder der Hut eines Pilzes genau die Form bildeten, die Kauket von mir gefordert hatte, fühlte ich eine tiefe Zufriedenheit, wie ich sie bisher nur selten verspürt hatte. Kauket nahm meine Fortschritte zur Kenntnis und ließ mich außerhalb des Kraftplatzes weiterüben.
Wie schon am Morgen war das auch diesmal ein frustrierendes Erlebnis. Auch wenn ich immer und immer wieder versuchte, es mit festem Willen zu schaffen, blieben meine Erfolge bescheiden. Als die Sonne bereits untergegangen war, gelang es mir immerhin, einen kümmerlichen Grashalm aus dem dichten Moos wachsen zu lassen.
Ich wollte sofort weitermachen, aber Kauket legte mir die Hand auf die Schulter. In den vergangenen Stunden hatte ich seine Gegenwart fast nicht mehr wahrgenommen.
»Genug für einen Tag.«
»Ich will noch nicht gehen.«
»Es ist genug«, wiederholte Kauket bestimmt. »Niemand wird an einem Tag zum Meister, auch du nicht. Morgen wirst du ausreichend Gelegenheit haben, deine Fähigkeiten zu verbessern.«
Ich nickte und folgte ihm zurück zum Dorf.
Nephtys erwartete uns bereits und reichte uns Tonschalen mit intensiv duftender Bärlauchsuppe.
»Wie ist es gelaufen?«
Ich warf Kauket einen erwartungsvollen Blick zu, doch er hatte sich bereits an der Feuerstelle niedergelassen und nippte gedankenverloren an seiner Suppe.
»Ich muss noch viel lernen«, sagte ich und setzte mich ebenfalls an die wärmende Glut.
Kauket stellte seine Schüssel bedächtig auf den Boden, erhob sich und ging wortlos zu seinem Felllager hinüber. Kurz darauf vernahm ich seine tiefen Atemzüge.
Nephtys hockte sich neben mich und ergriff meine Hände.
»Erzähl mir, was du erlebt hast«, flüsterte sie aufgeregt.
Nephtys war eine dankbare Zuhörerin. Ihre aufmerksamen Augen beobachteten mich, während ich erzählte und sie unterbrach mich ein paar Mal, wenn ich ihr etwas nicht genau genug erklärte.
»Hat es dir gefallen?«, fragte sie, als ich geendet hatte.
»Ja«, flüsterte ich und spürte, wie ich dabei lächelte. »Ja, es war schön.«
»Ich glaube, in dir steckt eine gute Wanife, Ainwa.«
Ich lief rot an. Wenn Nephtys das eben nur gesagt hatte, um mich aufzubauen, war sie eine sehr überzeugende Lügnerin.
»Kauket scheint das nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher