Die Wanifen
Alfanger.
»Aber das würdet ihr nicht«, rief Ainwa. »Ihr wisst es nicht, aber ihr würdet ihn töten. Ich lass euch nicht vorbei.«
Sie nahm eine flüchtige Bewegung aus den Augenwinkeln wahr. Die glasklaren Fluten des Sees versprühten ihr silbernes Funkeln … War es wirklich da gewesen oder hatte sie es sich nur eingebildet?
»Gorman wird sterben, wenn wir ihm das Bein nicht abnehmen, Ainwa. Der Tod darin wird seinen ganzen Körper vergiften«, erklärte Alfanger ruhig.
»Er stirbt, wenn ihr es tut.«
Galsinger machte einen Schritt auf Ainwa zu, aber Alfanger hielt ihn an der Schulter fest. Graue Wolken verdunkelten die Sonne. Einer der Jäger blickte verwirrt zum Himmel.
»Aus dem Weg, Schwarzhaar«, rief eine wohlbekannte Stimme aus den Reihen der Jäger.
»Halt den Mund, Weyref«, zischte Alfanger. »Glaubst du, ich möchte das meinem eigen Fleisch und Blut antun?«, sagte Galsinger rau. »Mach es uns nicht noch schwerer, als es ist, Kind.«
»Ainwa«, sagte Alfanger. »Komm jetzt. Oder sollen wir dich von diesem Steg herunterzerren?«
Ainwa spürte einen leichten Luftzug auf ihrer Wange. »Niemand darf ihm wehtun!«
Galsinger wandte sich den Jägern zu. »Rengemart! Antani! Holt sie da weg, aber seid vorsichtig.«
Zwei Jäger gingen wortlos an Galsinger vorbei.
Ainwa starrte ihnen verzweifelt entgegen. Hinter ihr erschallte ein seltsames Rauschen.
Die Jäger verharrten erschrocken. Einer starrte beunruhigt an ihr vorbei, während der andere einen Schritt zurückwich.
»Was sind das für Wellen?«, murmelte er.
Ainwa wandte sich nicht um. Was hinter ihr passierte, kümmerte sie nicht, solange keiner dieser Männer an ihr vorbeikam.
Jetzt schienen auch die anderen Männer auf der Plattform gesehen zu haben, was die beiden Jäger beunruhigt hatte.
Aufgeregte Rufe wurden laut, ein Jäger mit aschblondem Haar zeigte aufgeregt auf den See hinaus. Galsinger starrte Ainwa an, als hätte er einen Geist vor sich, während Alfanger immer wieder unruhig zum Himmel emporblickte. Der hatte sich in der Zwischenzeit weiter verdüstert und ein mächtiger Donnerschlag erschallte.
»Was ist das?«, flüsterte Alfanger. »Was hast du gerufen?«
Ein kühler Wind zog mit dem Rauschen auf wie kurz vor einem Gewitter. Wellen klatschten gegen die Stegpfosten und spritzten ihr ins Gesicht.
Ein tiefes Grollen ertönte. Der Steg unter ihren Füßen zitterte leicht.
Das war kein Donner! Ainwa hatte dieses Geräusch schon einmal gehört, in der Nacht, als die Wölfe sie angegriffen hatten. Das Gebälk der Hütte hinter ihr knarzte bedrohlich. Diesmal war sie sicher, es sich nicht eingebildet zu haben. Der Schrecken auf den Mienen der Jäger bewies ihr, dass sie es ebenfalls gehört hatten.
»Ainwa … hör auf damit«, flüsterte Alfanger.
»Was passiert hier, Alfanger?«, rief Galsinger alarmiert.
»Schick deine Männer zurück ans Ufer, Häuptling. Hier ist es nicht sicher«, erklärte Alfanger, ohne den Blick von Ainwa zu nehmen.
»Was ist mit Gorman?«
Alfanger wandte sich ihm langsam zu.
»Niemand wird ihm mehr helfen können, wenn wir länger hierbleiben.«
Es dauerte ein paar Augenblicke, bis Galsinger begriff.
»Wir ziehen uns zurück«, rief er seinen Jägern zu. Die Erleichterung auf den Mienen der Leute war unübersehbar, nur Weyrefs Augen fixierten Ainwa mit kaltem Zorn.
Die Jäger und Galsinger rannten aufgeregt rufend zurück ans Ufer, nur ein heller Haarschopf blieb stehen.
»Weyref, lauf!«, schrie Alfanger, aber Weyref hörte nicht.
»Du hast uns das letzte Mal zum Narren gehalten«, knurrte er ihr entgegen.
Sein Gesicht glühte vor Zorn. Mit einem behänden Satz schwang er sich auf den schmalen Steg, der zu Alfangers Hütte führte, und rannte auf sie zu.
Ainwas Atem beschleunigte sich. Weyref war viel stärker als sie. Sie verbreiterte ihren Stand und beugte die Knie. Wenn Weyref an ihr vorbeikam, würde Gorman sterben, und das würde sie niemals zulassen. Weyref stieß sich mit einer kraftvollen Bewegung ab und segelte auf sie zu. Sie riss die Arme in die Luft …
Kurz bevor Weyref sie rammte, erschallte ein ohrenbetäubendes Grollen. Weyref wurde zurückgeschleudert und stürzte mit einem erstickten Schrei in den See.
Ainwa rang um ihre Fassung. Zu ihrer Erleichterung tauchte Weyref gleich wieder an der Oberfläche auf. Er holte tief Luft und starrte zu ihr herüber. Jetzt konnte Ainwa keinen Zorn mehr in seiner Miene erkennen, nur noch Angst.
Die Jäger am Ufer brüllten
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