Die Wanifen
glauben.«
Warum machte ich mir überhaupt Gedanken darüber? Konnte es mir nicht egal sein, was er von mir dachte, solange ich Fortschritte machte?
Nephtys runzelte die Stirn.
»Du kannst nichts dafür, Ainwa«, murmelte sie und vergewisserte sich mit einem kurzen Blick, dass Kauket schlief. »Im Moment bereiten ihm viele Dinge Sorgen.«
»Gorman?«
»Nicht nur. Da ist noch etwas anderes …«
Ich warf ihr einen fragenden Blick zu.
»Der Wanife, der dich angegriffen hat … Kauket glaubt, er war nicht allein.«
»Das hat Rainelf auch gemeint.«
»Kauket befürchtet, dass jemand die Ata ausspionieren will.«
»Zu welchem Zweck?«
Nephtys zuckte mit den Schultern.
»Die Sache bereitet ihm viel Kopfzerbrechen. Er sagt, in der Geisterwelt gibt es Anzeichen dafür, dass ein mächtiger Wanife ins Seenland gekommen ist.«
Kauket brummte leise und drehte sich auf die andere Seite.
Nephtys erstarrte und blickte zu ihrem Bruder hinüber, doch er schlief weiter. Sie schenkte mir ein vorsichtiges Lächeln.
»Keine Sorge, Ainwa. Die Ata sind in Sicherheit. Kauket beschützt sie. Ruh dich jetzt aus.«
Mein Schlaf in dieser Nacht war unruhig. Im Traum rannte ich durch einen nächtlichen Wald, so schnell, wie ich niemals hätte laufen können. Ich suchte nach etwas, aber es war schwieriger zu finden, als ich dachte.
Mein Elchenband kribbelte leicht, als ich im Morgengrauen erwachte. Kauket nahm mich wieder mit in den Wald, wo ich weiter mit ihm das Wachsen übte. Auch wenn ich mich auf dem Kraftplatz ganz gut anstellte, hielten sich meine Erfolge außerhalb davon nach wie vor in Grenzen. Alles, was ich an diesem Tag schaffte, waren ein paar mickrige Leberblümchen, die sofort wieder vertrockneten. Am nächsten Tag lief es nicht viel besser und auch nicht am Tag darauf. So neigte sich meine erste Woche im Wanifenhaus allmählich dem Ende zu. Abgesehen von stundenlangem Wachsen üben, ohne dass ich dabei großartige Fortschritte machte, bestanden meine Tage aus Dauerläufen durch den Wald und anstrengenden Klettertouren, die mich an den Rand der Erschöpfung trieben. Ich musste dabei zähneknirschend anerkennen, wie mühelos Kauket diese Übungen absolvierte. Er versuchte mir ständig weiszumachen, wie sehr dieses körperliche Training meinen Geist schärfen würde – und ähnlichen Mist.
Frustriert über meine Unfähigkeit im Wachsen, bat ich Kauket, mir zu erklären, was genau ich eigentlich falsch machte. Alles, was ich zur Antwort bekam, war ein langer Blick und dann den wenig hilfreichen Kommentar, dass es nicht an mir liegen würde. Irgendwie gelang es mir trotzdem, ihn zu einer kleinen Demonstration zu überreden, auch wenn er das für sinnlos hielt. Insgeheim hoffte ich natürlich, dadurch den einen oder anderen Trick von ihm abschauen zu können.
Mit großer Bewunderung und auch etwas neidvoll beobachtete ich, wie er mühelos ein junges Eichenbäumchen außerhalb des Kraftplatzes sprießen ließ, bis es fast hüfthoch war. »Wieso schaffe ich das nicht?« Ich stupste das Bäumchen mit meinem Stab an und stellte verdrossen fest, wie kräftig es war.
»Lass dir Zeit«, murmelte Kauket. »Heute Nachmittag werde ich dich etwas anderes lehren.
Du hast gesagt, du wurdest zur Heilerin ausgebildet?«
Ich nickte.
»Dann wird es jetzt Zeit, zu vergessen, was du gelernt hast.«
Gegen Mittag zogen von Westen her Wolken auf. Nach einem kurzen Gewitter gewann die kühlere Luft die Oberhand und der heftige Gewitterregen verwandelte sich in ein ausdauerndes Rieseln. Regen dieser Art war im Seenland sehr häufig. Die Wolken krallten sich an den bewaldeten Berghängen fest und oft brauchte der Wind viele Tage, um sie wieder fortzuwehen.
Ich war froh, dass Kauket an jenem Tag nicht mit mir zum Kraftplatz zurückgekehrt war. Den ganzen Tag im Regen zu stehen, darauf konnte ich getrost verzichten. Stattdessen führte er mich in eine Hütte im Dorf der Urukus, die ich bisher noch nie betreten hatte.
Im Inneren gab es keine Schlaflager, sondern nur eine verrußte Feuerstelle und ein paar verschlossene Tonbehälter. Das Holz wirkte feucht und teilweise schon morsch. An mehr als einer Stelle sickerte Wasser durch das Dach.
Mir wurde bewusst, dass abgesehen von der Hütte der Geschwister das Dorf der Urukus dem langsamen Verfall preisgegeben war. Kauket und Nephtys konnten unmöglich alle Hütten instand halten, dafür waren sie zu wenige.
Mit großer Mühe entfachte Kauket ein Feuer. Mit grimmiger
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