Die Washington-Akte
wie möglich in Erfahrung zu bringen? Um Miss Nelle zu finden?«
»Ich bin gekommen, um meinen eigenen Schnitzer wiedergutzumachen.«
»Bewundernswert. Aber ziemlich dumm.«
Er lauschte nach draußen und hörte zu seiner Freude, dass der Regen und der Sturm nachließen. Endlich. Vielleicht ging das Unwetter allmählich seinem Ende entgegen. Sein unmittelbares Problem war jedoch dringlicher.
Er fasste die Frau ins Auge, die er nicht kannte.
Schlank und durchtrainiert mit dunklem Haar und dunklem Teint. Eine richtige Schönheit. Und auch draufgängerisch. Sie erinnerte ihn an Andrea Carbonell, und das war nichts Gutes.
»Wer sind Sie?«, fragte er.
»Cassiopeia Vitt.«
»Sie wollten die Retterin der beiden sein?«
»Eine von vielen.«
Er begriff, worauf sie hinauswollte.
»Es ist vorbei«, sagte Stephanie Nelle zu ihm. »Sie sind erledigt.«
»Das denken Sie also?«
Er griff in seine Tasche und holte das Handy heraus, das seine Männer bei Vitt gefunden hatten. Ein interessantes Gerät. Es war keine Anrufliste darauf zu finden, und es gab keine gespeicherten Kontakte oder Telefonnummern. Offensichtlich waren all diese Funktionen bei diesem Handy nicht vorgesehen. Vermutlich bedienten sich die Geheimdienste solcher Geräte.
Damit gehörte Vitt zu seinen Gegnern.
Er hatte bereits vermutet, dass die anderen Angreifer ihn hatten ablenken sollen, während sie die Gefangenen befreite.
Und der Plan hatte beinahe funktioniert.
»Arbeiten Sie ebenfalls für die NIA ?«, fragte er sie.
»Ich arbeite für mich selbst.«
Er wog diese Antwort ab und entschied, dass seine erste Einschätzung richtig war. Diese Frau würde ihm ohne Nachhilfe nichts erzählen.
»Sie haben gerade eben gesehen, was ich tue, wenn jemand sich meinen Fragen verweigert.«
»Ich habe auf Ihre Frage geantwortet«, entgegnete Vitt.
»Ich habe noch eine. Eine wesentlich wichtigere.« Er hielt das Handy hoch. »Wem erstatten Sie Bericht?«
Vitt antwortete nicht.
»Ich weiß, dass Andrea Carbonell Ihren Anruf erwartet«, erklärte Hale. »Sagen Sie ihr, dass Stephanie Nelle nicht hier ist. Dass Sie gescheitert sind.«
»Egal was Sie mir antun, Sie können mich nicht dazu bewegen, dieser Anweisung zu folgen.«
Hale begriff, dass das stimmte. Er hatte sich bereits ein Bild von Cassiopeia Vitts Charakter gemacht und war sich sicher, dass sie es darauf würde ankommen lassen. Wenn er recht hatte und ihre Fortschritte überwacht wurden, würden seine Gegner handeln, sobald ihre Berichte ausblieben. Sie hatte nichts weiter zu tun, als bis dahin durchzuhalten.
»Ich habe gar nicht vor, Ihnen irgendetwas anzutun«, stellte er klar.
Er zeigte auf Kaiser.
»Ich werde es ihr antun.«
78
Nova Scotia
Wyatt hoffte, dass Knox seine Warnung beherzigte. Er brauchte ein paar ungestörte Minuten mit Carbonell. Anschließend könnten Knox und er miteinander spielen. Und spielen würden sie, da Wyatt bezweifelte, dass Knox einfach unverrichteter Dinge abziehen würde, wenn er erst einmal begriffen hatte, dass das Kräfteverhältnis nun ausgeglichen war. Ob Knox die beiden Leichen gefunden hatte? Wahrscheinlich. Aber selbst im gegenteiligen Fall hatte er keinen Grund zu der Annahme, dass außer ihnen dreien sonst noch irgendjemand im Fort zurückgeblieben war.
Wyatt stieg mit größter Vorsicht ins Erdgeschoss hinunter. Das Nachtsichtgerät half ihm in den dunklen Winkeln. Er kam zum Fuß der Treppe und fand einen Durchgang, der in den Innenhof führte, wo Carbonell ihn erwartete.
Er sah auf die Uhr.
Beinahe drei Stunden waren vergangen, seit er und Malone in dem unterirdischen Korridor gewesen waren. Alle sechs Stunden. So war der Rhythmus von der Ebbe bis zur Flut.
»Ich bin hier, Andrea«, sagte er.
»Ich weiß.«
Beide hielten sich verborgen.
»Sie haben mich belogen«, sagte er.
»Haben Sie etwas anderes erwartet?«
»Sie wissen nicht, wann Sie aufhören müssen, oder?«
Er hörte, dass sie leise lachte. »Kommen Sie schon, Jonathan. Sie sind doch kein Neuling. Sie haben Erfahrung. Sie wissen, wie das Spiel geht.«
Da hatte sie recht. Doppelzüngigkeit war im Geheimdienst eine Lebensweise. Aber diese Frau war über das Übliche hinausgegangen. Sie benutzte ihn. Nicht mehr und nicht weniger. Er hatte wenig oder nichts mit ihrem Ziel zu tun. Er war einfach nur ein Mittel zu einem bestimmten Zweck. Und auch wenn sie ihn gut bezahlte, konnte sie doch nicht ungestraft mit ihm verfahren, wie es ihr gefiel. Außerdem war sie hergekommen, um ihn
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