Die Washington-Akte
schussbereit am Abzug der Pistole.
Der Korridor endete an einem großen Salon, der konservativ mit Wengé-Holz, Elfenbein und Leder eingerichtet war. In einer Ecke stand ein Stutzflügel. Alles glänzte und war äußerst gepflegt, genau wie die Jacht selbst. Malone musste in Erfahrung bringen, was auf dem Achterdeck vor sich ging. An den Außenwänden zogen sich längliche Fenster entlang, daher duckte er sich. So schlich er zu einer Glastür, hinter der er ein Deck, ein Schwimmbecken und Menschen erblickte.
Zu seiner Rechten führte eine Wendeltreppe nach oben.
Langsam stieg er die steilen Stufen zu einem Sonnendeck hinauf, von dem aus man Aussicht auf das Heck des Schiffs hatte. Er achtete auf die Position der Jacht. Sie schwamm mitten im Fluss. Beide Ufer waren in der Ferne zu erkennen. Vor ihnen, im Osten, ging die Sonne auf, und der Nebel war beinahe verschwunden. Er blickte in Richtung Bug und sah auf offenes Wasser hinaus. Sie fuhren in den Sund ein, was bedeutete, dass das Meer nicht mehr fern war.
Er blieb geduckt und schlich sich zur dem Heck zugewandten Reling.
Unten erblickte er Stephanie und Shirley Kaiser, zwei Männer mit Gewehren, vier weitere, die in der Nähe standen, Quentin Hale …
Und Cassiopeia.
Sie war in einem eisernen Galgenkäfig gefangen.
83
Cassiopeia war der Panik nahe. Ihre Hände waren gefesselt, ihr ganzer Körper von Eisenbändern umschlossen. Hales Männer banden gerade ein Tau oben am Käfig fest. Sie blickte zu Stephanie, doch deren Augen bedeuteten ihr, dass sie auch nicht viel tun konnte.
»Was für einen Sinn soll das haben?«, schrie Shirley. »Warum tust du das, Quentin?«
Hale sah Kaiser an. »Piraten machen so etwas eben.«
»Unbewaffnete Frauen töten?«, fragte Stephanie.
»Ihren Feinden eine Lektion erteilen.«
Die Männer, die das Tau festgebunden hatten, richteten sich auf.
Hale trat näher. »Könige und Gouverneure haben uns nur zu gern mit dem Galgenkäfig gequält, und so haben wir gelegentlich Gleiches mit Gleichem vergolten. Aber statt die Gefangenen bis zu ihrem Tod in die Luft zu hängen, haben wir sie hinter unseren Schiffen hergeschleppt, bis sie ertrunken waren. Danach haben wir das Tau durchschnitten und sie in der Tiefe versinken lassen.«
Hale gab ein Zeichen, und seine Männer hoben den Eisenkäfig hoch.
Malone durfte nicht länger zögern. Wilde Emotionen wühlten ihn auf. Er hob die Pistole und wollte schießen – doch bevor er den Abzug durchdrücken konnte, packten zwei kräftige Hände seine Schultern und rissen ihn von der Reling zurück.
Ein Mitglied der Crew.
Mit einem raschen Tritt gegen den rechten Arm schleuderte der Mann ihm die Pistole aus der Hand.
Zorn stieg in Malone auf.
Dafür hatte er keine Zeit.
Er trat seinen Angreifer in den Bauch, so dass dieser sich krümmte. Mit einem Stoß des Knies ins Gesicht richtete er ihn wieder auf. Dann rammte er ihm den Ellbogen gegen das Nasenbein und schleuderte seinen Kopf nach hinten. Zwei Fausthiebe, und der Mann taumelte über die Reling und stürzte fünf Meter auf das Deck darunter.
Die Männer, die Cassiopeia übers Deck schleppten, hörten den Aufschlag und verharrten kurz. Hale hörte ihn ebenfalls, fuhr herum, blickte nach oben und erkannte das Problem.
Malone suchte nach seiner Pistole.
»Werft sie ins Wasser«, hörte er Hale schreien.
Malone fand die Waffe, riss sie an sich und sprang über die Reling auf das Deck unter ihm hinunter. Er prallte unten auf, rollte sich ab und schoss auf die beiden mit Gewehren bewaffneten Männer. Beide gingen zu Boden.
Er kam wieder auf die Beine und raste los.
Pistole in einer Hand, versuchte Hale, ihm den Weg abzuschneiden, aber Malone verpasste dem älteren Mann eine Kugel, traf ihn in die Brust und schleuderte ihn damit rückwärts aufs Deck.
Er rannte weiter.
»Los!«, schrie Stephanie. »Hilf ihr!«
Die vier Männer kamen mit dem Galgenkäfig bei der Reling an.
Es war zu spät, um sie mit seiner Pistole aufzuhalten.
Sie warfen Cassiopeia ins Meer.
Wyatt ging zu der Stelle zurück, wo das Seil ihn erwartete. Das Wasser reichte ihm inzwischen bis zur Taille. Bald würden die oberen Stollen volllaufen und die Gänge unten gänzlich unter Wasser setzen. Es war nur passend, dass seine beiden selbstgefälligen Gegner hier ihr Ende fanden. Carbonell hatte darauf gezählt, dass ihre Helfer sie retten würden, und Knox hatte geglaubt, dass sich eine einfache Gelegenheit bot, zwei Probleme auf einen Schlag zu beseitigen. Noch
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