Die Wasserfälle von Slunj
eigentlich nichts mehr aufgefallen“, sagte Chwostik beiläufig. Das Unerhörte dieser Situation hier schuf ihm geradezu Distanz und schenkte ihm Ruhe. Im übrigen konnte er die Frauenzimmer jetzt wirklich hinauswerfen. Mochte die Wewerka zerspringen! Oder, noch besser: so bald wie möglich selbst ausziehen, dieses bezahlte Quartal garnicht zu Ende wohnen.
„Also“, schloß Doctor Keibl das Thema, „summa summarum, Herr Chwostik, ich halte es nicht nur für durchaus begreiflich, sondern für durchaus richtig, daß Sie ausziehen wollen. Haben Sie denn schon eine neue Wohnung in der Hand?“
Im ganzen hatte der Doctor Keibl bei Chwostiks Eintritt und erstem Anblick sogleich gewußt, wen er vor sich habe. Und er wußte das eigentlich bei jedem neuen Gesicht (an praktischer Übung hatte es ihm wahrlich nicht gefehlt), ja, mehr als das: er vermochte die Oberfläche zu durchdringen, auch wenn sie Ungünstiges oder gar Abstoßendes darbot (was ja bei Chwostik durchaus nicht der Fall war) und gehörte keineswegs zu jenen Leuten, die in solchen Fällen gleich zurückspringen wie der Ball von der Wand (und schon ist die Antipathie fertig und mit ihr gleich das Urteil gefällt). Hier lag die Möglichkeit des Herrn Oberlandesgerichtsrates zu einer höheren Gerechtigkeit als die Jurisprudenz sie zu bieten hat. Eine solche Gerechtigkeit vertritt den anderen Menschen in unserem Inneren gleichsam durch einen Anwalt, den wir hier für ihn bestellt haben. Der Doctor Keibl hatte von solchen Möglichkeiten Gebrauch gemacht.
„Noch ist nichts definitiv entschieden“, antwortete Chwostik auf die gestellte Frage. „Jedoch der Herr Doctor Eptinger, unser Advocat, hat mehrere Möglichkeiten für mich bereit und ich werde in der nächsten Zeit einiges besichtigen.“
Deutlich fühlte er während dieser seiner eigenen Rede, daß ihn eine Art Zwang leitete, den Namen des Doctor Eptinger auszusprechen, der schon in den letzten Minuten durchaus gegenwärtig gewesen war, ja, diese letzten Minuten zutiefst beherrscht hatte: alles war jetzt irgendwie Doctor Eptinger. Es hätte der direkten Frage des Oberlandesgerichtsrates garnicht bedurft – Chwostik hätte von sich aus einen Vorwand gefunden, den Rechtsanwalt zu nennen, ja, geradezu ihn zu citieren oder zu beschwören. Doch jetzt, nachdem er’s getan, öffnete es sich, genau gegenüber der wiedergekehrten Bedrohung durch den noch immer abrupt-stufigen Bruch in den Verhältnissen seines Daseins, wie ein von tiefem Blau erfülltes Fenster in die Freiheit, in ein von solchen Klemmen und Bedrängnissen freies Leben. Und Chwostik hielt, nun schon mit bewußtem Bestreben, diese Hoffnung fest. Er würde bald, in absehbarer Zeit, in einem anderen Hause wohnen, und so in den Herbst eingehen und in den nächsten Winter. Im Augenblicke fühlte er’s wie einen herbstlichen Duft vom Prater her, von den Kastanienbäumen der Hauptallee.
„Nun, Sie haben ja noch genug Zeit zur Wahl“, sagte Doctor Keibl. „Den Doctor Eptinger kenne ich übrigens von der Gerichtspraxis her. Ein ausgezeichneter Jurist. Wir hatten einen jungen Staatsanwalt, der sich vor ihm geradezu gefürchtet hat.“
Das Gespräch zerfiel jetzt und zerstreute sich. Bald hielt Chwostik es für angemessen zu gehen. Der Oberlandesgerichtsrat stand noch vor ihm und sagte, er werde sich einmal erlauben, Chwostik einzuladen, es gäbe bei ihm dann und wann einen Herrenabend, und er möchte darum bitten, ihm die neue Wohnungsadresse mitzuteilen. Das große Zimmer schien jetzt ganz erfüllt von dem Widerschein der grünen Baumwipfel draußen, welcher durch die drei Fenster fiel.
W ir stülpen zwei Leute um wie die Handschuhe und fragen uns, wie sie’s auf der abgekehrten Seite machen, die man sonst nicht zu sehen kriegt. Bei Chwostik ist das simpel. Er besucht in Abständen ein bekanntes Haus in der Bäckerstraße und führt sich dort im übrigen anständig und bescheiden auf, ohne zu trinken. Der Doctor Eugen Keibl aber hat ein Verhältnis mit der Frau des Zahnarztes Doctor Bachler. Es ist denkbar, daß diese sonst noch ganz anders ethisch aufgeflattert wäre, bei diversen Gelegenheiten, und mitten aus dem Gurkensalat-Geruch ihrer Wohnung heraus, ja, so recht und voll aus diesem! Der angegebene besondere Umstand jedoch wirkte dämpfend, ja vermenschlichend, humanisierend. Vielleicht ist hierin die eigentliche Wurzel ihres Verhaltens gegen Finy und Feverl zu sehen. Daß ihr Kind, welches jene aus dem Wasser gezogen hatten, von dem
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