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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
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zufällig leer und langsam im Schritt einherfuhr, vielleicht schon ausspähend nach einem Fahrgast. Chwostik stieg ein. Der Wagen wandte um. Die blank gestriegelten Pferde schienen heut noch nicht viel gelaufen zu sein, der Kutscher mußte sie halten, um im kurzen Trabe zu bleiben. Dann und wann sprach er zu ihnen, in nur halb articulierten Lauten, und schob dabei jedesmal den schwarzen Halbkrach – die ,Butten‘, wie man den chapeau melon in Wien nannte – mit der hell behandschuhten Hand ein wenig in’s Genick. Die lange dünne Equipagen-Peitsche spielte wie ein Krebsfühler in der Luft. Die Seidlgasse hatte Holzstöckel-Pflaster, hier ging’s weich dahin, erst auf den Katzen-Köpfen der Landstraßer Hauptstraße hüpfte und zitterte der Wagen ein wenig. Jetzt rollte man gegen den Ring hinaus, denn der Kutscher vermied die Lastenstraße mit dem vielen langsamen hemmenden Schwerfuhrwerk, und folgte auch nicht dem Laufe der Wollzeile, die damals noch sehr steil war. Auf der Ringstraße erst mit ihren Alleebäumen kam das flotte Fahrzeug zu seiner wahren Natur, der Kutscher ließ den Pferden mehr die Zügel. Linker Hand lag tief und grün der Stadtpark. Chwostik sah sich in seinem Zimmer im Bette liegen, flankiert von Finy’s und Feverls Amtsräumen, und empfand hier im Wagen diesen merkwürdigen, abruptstufigen Gegensatz, der noch immer durch sein Dasein lief: aber es hob ihn und schob ihn schon drüber hinaus, und dieses Geglicker und Geklacker der Pferdehufe vorne, und der leise hüpfende Gummiradler entfremdeten ihn seiner Adamsgasse, Geräusche aus einer anderen Welt. Milo’s Eau de Cologne duftete. Jetzt war die Zeit bei Debrössy da und der Geruch, wenn die Angestellten ihr Essen auf den Kochern wärmten. Die Gassen im Bezirk Wieden waren still, zum Teil auch mit Stöckelpflaster belegt, das nun in der durchbrechenden Sonne leicht dunstete, ein Sommer-Sehnsuchts-Geruch, von Chwostik schon in der Kindheit so empfunden. Der Wagen hielt, die Nummer stimmte. Es war ein altes, nur zweistöckiges Privathaus. Über den Fenstern sah man halbkreisförmige Medaillons mit Putten.
    A uch der Doctor Keibl hatte eine arme Jugend gehabt, aber auf der Ebene eines Standes, welcher diese Armut, diese unselige, verhängte, wie die Ränder einer klaffenden Wunde ständig zusammenpressen mußte, denn sie gehörte nicht zu jenem Stande dazu, ja sie durfte eigentlich garnicht sein.
    Der Vater war ein höherer Rechnungsbeamter gewesen und der Sohn mußte Jura studieren, freilich, und saß dann mit dem noch weniger als schmalen ,Adjutum‘ (ein paar Gulden) beim Bezirksgerichte, den Schriftführer machend. Später kam das ,Relutum‘ hinzu; und von beiden zusammen konnte man nicht leben, es sei denn am Tische der Eltern. Mit zweiunddreißig war er Richter. Um diese Zeit schlug der Blitz zweimal bei ihm ein: zum erstenmal durch den Verlust beider Eltern innerhalb eines Jahres, ein schwarzer Blitz, ein Finster-Blitz, den Horizont verdunkelnd. Der zweite Blitzschlag aber riß hell und fremd alles und jedes entzwei: Eugen wurde durch Erbschaft nach einem Onkel namens La Grange, dem seine Kinder gestorben waren, ein sehr reicher Mann. Die Art, wie er diese Kassierung aller bisherigen Verhältnisse bestand, machte seine Persönlichkeit aus, ja, diese entstand eigentlich erst beim Nehmen einer Barrière, welche anders sein Leben zum Anhalten gebracht und zum Stillstand gezwungen hätte.
    Zunächst: er blieb im Amte. Zweitens: er entdeckte dieses Amt erst jetzt. Die Durchdringung und Kommentierung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches – dieses stellt eine der großartigsten Leistungen im alten Staate dar – war damals erst wirklich in Fluß gekommen, und das durch die rasch sich verändernde Zeit und die ersten Einbrüche eigentlich modernen Lebens bedingte Auftreten neuer und noch flüssiger Rechtsmaterien, und ihre immer wieder zu leistende novellierende Bewältigung zwang den Juristen, wollte er wirklich einer sein und bleiben, zu anhaltender Arbeit. Sie wurde Doctor Keibls Braut und er blieb ledig. Schon Landesgerichtsrat, erwarb er obendrein noch die Dozentur an der Universität. In einer geruhigen, jetzt fast herrschaftlichen Weise lebend, glitt er mit festen Bahnelementen durch seine praktische wie theoretische Arbeit, und bei seiner Pensionierung hatte die zweite schon derart Gestalt angenommen, daß er die erste nicht vermißte, ja, die Lage als wesentlich erleichtert empfand. Ein Jahr nach seinem Übertritte in den

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