Die Wasserfälle von Slunj
eine Freude an der Veränderung und (wie sie vermeinte) Verbesserung der Lage anderer Menschen (einen sozial-ethischen Enthusiasmus, so nannte es der Doctor Grundl bei sich). „Gnädige Frau“, sagte er, „glauben Sie mir, es gehört jeder Mensch immer dorthin, wo er steht. Das hat mich nicht gehindert, Ihren guten Absichten bei diesen Frauenzimmern eine Gasse zu brechen. Aber meine Erfahrungen – und freilich hab’ ich ja welche gemacht mit Menschen von der Art der famosen Finy und Feverl – bleiben deshalb doch aufrecht. Womit nicht geleugnet und vergessen sei, daß sich die beiden tapfer und selbstlos verhalten haben; wenn auch mehr reaktiv als aus einem eigentlich moralischen Impetus.“
Aber seine Worte gingen an ihr vorbei; und vielleicht war sie wirklich nicht nur ethisch aufgeflattert, sondern konnte der beiden Frauen jetzt nicht vergessen, die sie vor namenlosem Schmerze bewahrt hatten.
,W ewerka‘ heißt auf deutsch ,das Eichhörnchen‘; mit einem solchen hatte das formatige Knollengewächs wahrlich nichts gemein (es sei denn das scharfe Gebiß, mit welchem es den Torkel zernagte). Aber es heißen ja auch Frauenspersonen ,Marguerita‘, also ,Perle‘, die man nur rasch vor die anderen Säue werfen möchte, oder ,Rosa‘, obgleich einem da mitunter ein einziger Dorn entgegen steht und sonst nichts.
Warum Chwostik ihr eigentlich nichts davon sagte, als er noch vor dem 1. Mai – auf Anraten des Herrn Doctor Eptinger – in einem formellen Schreiben an den Hausherrn seine Wohnung aufkündigte, vermögen wir selbst nicht genau anzugeben. Es wurde von ihm wohl für überflüssig gehalten. Die Hausmeisterin bekam er so oft nicht zu Gesicht und in die Unterwelt abzusteigen wäre ihm nie eingefallen. Zwischendurch einmal lehnte der Torkel besoffen im Hausflur und schimpfte Chwostik nach, während dieser die Stiegen zu steigen begann; vom ersten Absatz konnte jetzt, bei der Wendung, die Wewerka gesehen werden, welche aus dem Loche fuhr, den Torkel mit ihren Klauen ergriff und hinabzerrte.
In seinem Kündigungsbrief hatte Chwostik den Hausherrn in geziemender Form gebeten, ihm einen Abschiedsbesuch machen zu dürfen, in Anbetracht der Tatsache, daß sowohl seine Eltern wie er selbst durch so lange Zeit hier im Hause gewohnt hätten.
Es war solches keineswegs allgemein üblich. Wir begegnen hier vielmehr einem neuen Stil-Element bei Chwostik, das uns mindestens so bedeutsam erscheint wie seine nun längst vollzogene Häutung. Übrigens wäre es denkbar, auch das Übergehen der Wewerka bei dieser ganzen Angelegenheit so zu deuten.
Der Oberlandesgerichtsrat im Ruhestande Doctor Eugen Keibl – so hieß der Hausherr, nicht nur dieses einen Hauses, denn er hatte in Wien noch sechs andere – betrachtete nicht ohne Sympathie des Herrn Chwostik schöne currente Kanzleischrift, setzte sich dann zu einem barocken Sekretär mit ,Tabernakel‘ und zahllosen kleinen Laden und schrieb ein Billet, in welchem er Chwostik einlud, ihm das Vergnügen seines Besuches zu machen, an dem und dem Tage, um elf Uhr.
Es interessierte ihn immerhin, den Mann kennen zu lernen. Die Errichtung der Firma Clayton & Powers in Wien war dem Doctor Keibl nicht entgangen, da ein Verwandter von ihm Lieferungen von Heizungsanlagen beim Aufbau des Werkes übernommen hatte. Mr. Clayton aber sprach, wie man weiß, gerne von seinem erstaunlichen Bureauchef, das zeigt sich hier wieder einmal. Nun wollte Doctor Keibl diesen scheidenden Mieter doch noch sehen, welchen wohl die veränderten Lebensumstände veranlaßten, eine ihnen entsprechendere Wohnung zu nehmen.
C hwostik wählte für diesen Besuch den sogenannten ,Gehrock‘, zu welchem ein schwarzer Cylinder getragen wurde. Es war an diesem Tage so warm nicht, daß solche Tracht ihm wäre lästig geworden. Im Bureau hatte er sich entschuldigt. Er ging zeitig von daheim weg und befand sich besonders wohl. Das hing nun mit Andreas Milohnić zusammen. Dieser hatte ihm ein paar Tage vorher als kleines Geschenk eine Flasche von Joh. Maria Farina’s Kölnischem Wasser gebracht, ein von Chwostik bisher nie benütztes Toilette-Mittel. Nun, am Tage seines Besuchs bei dem Hausherrn zog er den kleinen Pfropfen (und danach noch oft, und nicht nur bei dieser einen Flasche).
Der Hausherr wohnte auf der Wieden. Chwostik ging ein Stück zu Fuße, in der Richtung zum nächsten Fiaker-Standplatz. Aber erst in der Seidlgasse war’s, daß er einen Fiaker kriegen konnte, sogar einen ,Gummiradler‘, der
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