Die Wasserfälle von Slunj
Frauen von damals – noch waren seine hygienischeren Formen und deren Instrumente, der Tennis-Schläger, der Ski, das Training im Hallenbade auch winters, nicht am Kontinente eingebürgert – führte sie in den nahegelegenen ersten Stadtbezirk, die ,Innere Stadt‘, wie man zu Wien sagt, fast jeden Vormittag; es stellte eine Art Ritus vor, daß man hier zwischen elf und eins an den glänzenden Schaufenstern der Geschäfte entlang flanierte, da und dort auch ein bekanntes Gesicht begrüßend, einen kleinen Einkauf besorgend. In allem war diese Zeit wesentlich durch das geprägt, was die im Lichte lebenden Menschen sich selbst als durchaus angemessen zubilligten, ganz so wie unsere Tage unter dem Zeichen des unermeßlichen Anspruches jener stehen, die damals so gut wie unsichtbar blieben; mindestens in der Inneren Stadt zwischen elf und eins wurden sie nie gesehen, es gab sie nicht. War man vormittags verhindert, die nächste Umgebung des Stephansturmes aufzusuchen, so nahm man nachmittags um fünf den Tee beim Demel am Kohlmarkt.
Und sah dort manchmal, wenn auch selten genug und nicht etwa regelmäßig an einem bestimmten Wochentage, den annoch anonymen Doctor Eugen sitzen, der, das muß festgestellt werden, hier eine Schlacht gegen den feschen Maurice Bachler gewann, bevor diese noch begonnen hatte, und trotz seines schon sehr vorgerückten Alters. Die Besuche von Demels Konditorei und Tee-Salon wurden geradezu spannend.
Nach der Verhandlung, bei der Rita als Zeugin vernommen worden war, blieb er ganz aus, und erschien erst in der folgenden Woche wieder; aber, bei aller weiblicher Raffinesse und Mistviecherei, sie verfiel – infolge ihrer Unkenntnis davon, was ein ,schwebendes Verfahren‘ bedeutet – nicht auf die richtige Erklärung seines Ausbleibens, welche für sie eine befriedigende gewesen wäre.
Beim nächsten Male grüßte er sie und redete sie auch ohne weiteres an, als sie beide beim Auswählen vor den langen Reihen der petits fours, den großen, kleinen, mittleren und winzigen Torten standen. Wie’s denn geht, sie kamen auch an eines der Marmortischchen miteinander zu sitzen, einfach weil kein anderer Platz frei war (das gehört zur Regie des Lebens).
Freilich hat Rita sich mit Doctor Eugen auch über das Verfahren unterhalten, welches sie erst in den Zeugenstand und jetzt, bei Demel, an den rechten Mann gebracht hatte. Der Bursche, um welchen es dabei ging, hieß Okrogelnik und war ein fürchterlicher Kerl. Er ist damals, in dieser einen Sache, aus Mangel an Beweisen auf Grund des Votums der Geschworenen von der Anklage wegen eines Gewaltverbrechens freigesprochen worden. Die Vorstrafen waren doch reichlich. Bei neuerlicher Durchleuchtung von Okrogelniks Vergangenheit kam zur Sprache, daß in einem Falle eine sehr bedeutende Diebesbeute nie mehr hatte zustande gebracht werden können: und nun plötzlich fuhr der Angeklagte mit der Behauptung heraus, es sei ihm zu jener Zeit alles entwendet und hinter seinem Rücken verkauft worden, von einer einstmaligen Geliebten, einem Stubenmädchen namens Sophie Liesbauer. Doch geriet ihm dieser eigentlich sinnlose Ausfall nicht gar gut. Denn die Sophie, welche einst im Hause von Rita’s Mutter gedient hatte – dort war sie nicht Sophie oder Sopherl, sondern, recht artig, Sopferl und schließlich sogar Zopferl genannt worden – wurde damals, trotz Okrogelnik’s hochehrbarem Getue, bald von Unbehagen in bezug auf diesen beschlichen. Ja, sie wünschte ihn los zu sein; schon gar, als er immer mehr kleine Kistchen und Pakete brachte (zum Teil waren sie schwer), die Zopferl in ihrem Dienstbotenzimmer auf bewahren mußte: sie füllten bereits den ganzen Raum unter Zopferls eiserner Bettstatt aus, und an der Wand stapelten sie sich zur Mauer: „landwirtschaftlicher Bedarf“ (?) sagte er, im Auftrage seiner als Gutsherrin im Steirischen lebenden Schwägerin eingekauft, und demnächst werde er das alles verfrachten. Der Zopferl wollt’s nicht gefallen. Sie wandte sich vertraulich an das mit ihr gleichaltrige Fräulein Rita und sagte ihr, daß sie den Okrogelnik loswerden wolle, und seinen Kram dazu. Also beschlossen die beiden, es der Mutter Eptinger zu sagen (geborene Globusz), die’s dann dem Okrogelnik kräftig besorgte, indem sie ihn hinauswarf, als er wieder einmal zu Zopferl in die Küche kommen wollte (meist ging er dann bald in ihre Kammer, um dort mit seinem Kram herumzuwirtschaften). Und er müßte alles augenblicklich wegbringen, was er –
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