Die Wasserfälle von Slunj
Doctor Eugen stammte, wußte sie mit voller Gewißheit. Es war also ein Kind der Liebe. Diejenigen, welche später nicht nachkamen, wären Kinder des Zahnarztes gewesen. Er kann als Feschak bezeichnet werden, als ein allzu fescher Kerl; und so verlor er frühzeitig seine Frau und merkte es nicht einmal.
Niemand merkte irgendetwas.
Sonst kommt doch alles heraus.
Aber es gibt Ausnahmen.
Es gibt eben alles. Wenn der Doctor Eugen, im Gespräche mit Chwostik, sozusagen ganz fremd getan hat, als der Bruder seiner Geliebten, der Advocat Eptinger, erwähnt wurde: so war das eben garkeine Tuerei; er hat ihn nur aus der beruflichen, nie aus der privaten Sphäre gekannt; auch seinen eigenen Contrepart, den Zahnarzt, kannte er nicht; ja, es kann, geht man’s Mann um Mann, Frau für Frau durch, niemand gefunden werden, der beide zugleich kannte, den Doctor Eugen und die Frau Doctor Bachler. So lebten sie denn in völlig verschiedenen Kreisen. Dieser Sachverhalt wurde von dem Oberlandesgerichtsrate klar erfaßt und sorgfältig konserviert.
Monica sah er.
Jedoch nur, als sie noch ganz klein war.
Die Mutter brachte ihm das Baby.
In sein Privathaus freilich; außerhalb von diesem sind Eugen und die Frau Doctor nie zusammengetroffen.
So hat es denn keinen, auch nicht den geringsten Tratsch, keinen, auch nicht den geringsten Schatten eines Verdachtes jemals gegeben. Es war ein luftdicht abgeschlossenes Geheimnis, es kommunizierte nicht mit der Welt, es blieb fest verschalt im alten Hause Doctor Eugen’s auf der Wieden. Mit der Zeit eignete dieser Liebes-Konserve, durch den Liquor perfektionierter Diskretheit, in welchem sie schwamm und schwebte, ohne irgendwo anzustoßen, ohne irgendwas zu berühren oder irgendwie Anlehnung zu nehmen, ein mumifizierter, ein aus der Welt geratener Charakter. Und die Arztensgattin ging in Eugens altes Haus ein wie in ein anderes Zeitalter im gleichen Raume (vielleicht hat darin für sie ein Reiz gelegen). Sie kam aus dem Gurkensalat, und hier umschloß sie nun der gekühlte Duft, der vom kostbaren Holze alter Möbel ausging. Die Sphären mischten sich nie. Sie trafen kompakt und intakt aufeinander. Jede Perfektion ist unmenschlich, ja tödlich, man spürt es schon, man erkennt’s an diesem Beispiel. Und, in der Tat: der Nerv der Sache starb denn auch ab und aus einer Geliebten wurde eine Tochter. Damals, als Monica in’s Wasser fiel, war es schon bald so weit, oder mindestens befand man sich auf dem Wege dahin. Jede Sache, jeder Mensch: damit sie eigentlich leben und am Leben bleiben, müssen sie doch irgendwie unter die Leute kommen, und freilich auch – sei’s denn! – in deren Mund.
Es bleibt nur die Frage übrig, wie die beiden aus so getrennten Welten überhaupt an einander geraten waren. Nun, der Regie des Lebens fällt solches leicht, unendlich viel leichter als uns hier; sie hat im Handumdrehen ihre Kulissen aufgestellt (man kommt niemals nach), alles dreht sich, alles bewegt sich; und während uns noch ganz dünn zumut ist, haben sich weit auseinander liegende Einzelheiten schon dick zusammengepappt und alles starrt nur so von Tatsächlichkeit, ja, in der ordinärsten Weise, möchte man fast sagen. Es hatte im Elternhause der Frau Bachler (Rita Bachler, geborene Eptinger) einmal ein Stubenmädchen gegeben, das später – wenn auch nur ganz kurz – in einen Kriminalprozeß verwickelt wurde, durch einen Geliebten, versteht sich; über die Vorvergangenheit jener Person mußte Frau Rita als nicht sehr wichtige Zeugin vor einem Geschworenengericht aussagen, dem der Doctor Eugen praesidierte. Sie erkannte sofort, daß sie ihn kannte, nämlich vom Sehen. Es war in der ersten Zeit ihrer Ehe mit dem feschen Doctor Bachler gewesen (und sie wohnten schon damals im Eckhause in jener langen Straße, nahe beim Donaukanal). Rita war durch ihre Heirat in eine Lage gekommen, in welcher sie bald vor Erstaunen einfach steckenblieb. Denn nachdem der Doctor Bachler sich mit Hilfe ihrer beträchtlichen Mitgift seine zahnärztliche Ordination eingerichtet hatte, kümmerte er sich überhaupt nicht mehr um sie. Es war mit den beiden nichts, es war von vornherein schiefgegangen, es hatte sich nie was rechtes ereignet. Es gibt solche Fälle. Niemand kann das geringste dafür, nicht die Frau, nicht der Mann.
Sie hatte unseren Doctor Eugen also schon gekannt, und lange noch bevor sie in den Zeugenstand getreten und von ihm angesprochen, belehrt und befragt worden war. Das Nichtstun junger wohlhabender
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