Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
aber Paul hatte ihr den Schirm aus der Hand genommen.
    Es ist hier vielleicht wichtig zu sagen, daß Paul Harbach damals von nichts irgendwie okkupiert war. Schon garnicht von der Schule; er besaß zwei unschätzbare Eigenschaften, die ihm das Lernen fast zu einer Spielerei machten. Einmal eine für sein Alter ungewöhnlich starke Fähigkeit zur Konzentration, fast möchte man sagen: ein Fressen der Gegenstände seiner Aufmerksamkeit. Bei allen solchen Anlässen quollen seine Augen etwas vor, schienen auffallend stark gewölbt, ja, beinahe glotzend. In dieser Weise pflegte er dem Unterrichte zu folgen. Es war da in ihm zugleich ein Wunsch, seine Lehrer bei Irrtümern zu ertappen. Mehrmals gelang ihm das auch. Doch äußerte er niemals etwas darüber. Aber jener Wunsch wurde zum Antrieb, sich der Gegenstände besser zu bemächtigen als seine Mitschüler. Der zweite Vorteil aber, den er genoß, war eine hohe Merkfähigkeit. Was er glotzend hörte, wurde gleichsam in ihn hineingeschrieben und wie auf eine Phonographenplatte. Es blieb von da an auch in einer schachtelweis geordneten Evidenz. Später hat ihn das auf der Hochschule weitgehend entlastet.
    Die Merkfähigkeit beschränkte sich bei Paul nicht auf Lernfächer. Unter Umständen konnte er Hilda oder Jenny genau entgegenhalten, was sie vor vier Wochen gesagt hatten. Diese ,ekelhafte und unerträgliche Art‘ (so nannten sie es) trug ihm Boxhiebe, Knüffe und Püffe ein.
    Bei solcher Personsverfassung versteht es sich von selbst, daß Paul keine Sorgen wegen der für Juli bevorstehenden Reifeprüfung oder Matura hatte. Sie war damals, um 1895, wesentlich schwieriger als etwa 1910, als unsere jungen Herren vom Metternich-Club (den werden wir noch kennen lernen!) sich ihr näherten. Da gab es zum Beispiel in der schriftlichen Prüfung keine Übersetzung aus dem Deutschen in’s Griechische mehr, sondern nur das Umgekehrte.
    Man bemerkt bei dieser Gelegenheit, daß junge Leute aus fundamental verschiedenen Gründen gute oder auch schlechte Schüler sein können. Natürlich ist dann immer auch alles andere ganz anders. Paul etwa hatte in der Schule keine Freunde. Es war, als hielten sein gelegentlich glotzender Blick aus leicht hervorquellenden Augen und seine gesteigerte Aufmerksamkeit die Schulkameraden von ihm ab. Beides hat dann auf die Ergoletti höchst anziehend gewirkt; ja, gerade das hat ihr gefallen, mehr als gefallen: es hat sie fasziniert. Vielleicht hat sie die Kälte bei dem jungen Manne gespürt. Er war ein Außenstehender. Er nahm nicht teil. Im Elternhause schon wurden diese Grundlagen seines Wesens herausgearbeitet und praktiziert: als Ältester, mit törichten Schwestern hinter sich, und einer ebensolchen Mutter, in einer immer mehr mit törichten Interessen sich erfüllenden Lebensluft. Er wurde früh einsam.
    So ging er dahin, das zarte Schirmchen am Arm. Die Luft war lau und letschig, das Pflaster hatte einen schleimigen Überzug. Doch brach die Sonne durch. In der Weiträumigkeit dieser Umgebung lag der fast frühjahrsmäßige aufgebrochene Geruch nach Erde und faulem Laub von den großen Parkflächen her. Paul sah das alles sehr klar, durch gewaschene Fenster gleichsam. Er hätte eine andere Art des Befindens sich nicht vorstellen können. Jenseits der Oper, an der Ecke des Kärntner-Ringes, herrschte Gewimmel. Er tauchte hinein und geschickt hindurch und vor der großen Drehtür des ,Bristol‘ wieder heraus.
    Noch kaum hatte er am Empfangsbureau ihren Namen genannt, als sie schon aus dem Hintergrunde der Halle mit langen Schritten herankam. Ihr rasches Aufstehen aus einem Fauteuil war von Paul bemerkt worden.
    „Da ist mein Schirmchen!“ rief sie aus
    Sie hat eine große Nase und in der liegt schon das ganze Gesicht.
    So war der erste, wenn nicht entscheidende Eindruck. Sehr hoch, sehr schlank. Aber in einer ganz anderen Weise als seine ältesten Schwestern schon groß und schlank wurden. Es gab hier eine in’s Auge springende, irgendwie unverhüllte Langbeinigkeit. Diese erschien betont, sei’s, daß die Natur das allein machte oder auch die Schneiderin mithalf (die Röcke damals waren lang). Alles saß knapp.
    Sie nahm ihn mit, nach rückwärts in die Halle, und ließ irgendetwas zu trinken kommen (hier war schon die erste Erinnerungslücke, vor jener späteren noch, mit den Eislaufschuhen, die er unterm Arm gehalten hatte).
    „Ihre Mama ist sehr liebenswürdig“, sagte sie beim Niedersetzen. Das Schirmchen behielt sie in der

Weitere Kostenlose Bücher