Die Wasserfälle von Slunj
Hand.
Aber den Paul kriegte sie nicht in die Zange der Beobachtung, oder etwa gar so unter ihre weitgeschlitzten feuchten Augen, wie man einem Marienkäferchen zusieht, das am Zeigefinger emporklettert. Schon gab seine Kälte den ersten spürbaren Hauch. Schon begann er leicht zu glotzen. Es war eigentlich jetzt ein stummes kurzes Ringen, von ihrer Seite mindestens. Seine Intelligenz erwies sich als gesammelter. Einer solchen unterlag sie.
Sogleich auch versuchte die Ergoletti sich zu behaupten, und ließ sich damit also ein. Paul hatte überhaupt noch kein Wort gesprochen. Schon wäre es ihr unmöglich gewesen, ihn jetzt, nach diesem Sherry, oder was es schon gewesen war, einfach gehen zu lassen. Schon mußte etwas bewirkt, auf ihn eine Wirkung ausgeübt, die Oberhand gewonnen werden. Sie sah, daß bei diesem fürchterlichen Menschen, während er sie aufmerksam anblickte, das Kinn sich etwas vorschob (es versetzte auch seine Lehrer oft in Unruhe, sie fühlten sich kontrolliert, und sie wurden es von Paul; später, in München, beim Sezieren, pflegte er auch das Kinn oft in dieser Weise vorzuschieben; seine Studiencollegen machten das gerne nach, in seiner Abwesenheit). Das Unwahrscheinliche und Ungewöhnliche war heraus, es war geschehen: denn sie saßen hier schon fünf Minuten in ihren Fauteuils, ohne irgendeine Conversation zu machen. In diesem Zustande jedoch schien sich Emilia Ergoletti’s Partner zu consolidieren, ja, darin beheimatet zu sein. So ein Kerl! Ist der einfach blöde?
Nun, sie bewirkte etwas.
„Haben Sie was vor, Herr Harbach, jetzt am Nachmittag?“
„Nein“, sagte er.
„Müssen Sie nicht lernen oder Aufgaben machen?“
„Nein.“
Sie hätte wohl auch ,studieren‘ sagen können, bei einem jungen Manne, der demnächst eine Universität beziehen sollte. Aber das Provozieren nützte garnichts.
Weil sie also nichts bewirkt hatte, rückte sie weiter vor.
„Ich habe für meinen Aufenthalt hier eine Wohnung genommen, für ein paar Wochen. Im Hotel wird das doch zu unbequem. Heute will ich mir das noch einmal ansehen. Ein Mädel ist schon dort, sie hat alles durchgeheizt. Ich möchte wissen, was Sie als ganz Außenstehender (!) dazu sagen. Wenn Sie Zeit haben, fahren wir hin und inspizieren. Es ist am Modena-Park, im dritten Bezirk.“
„Mit Vergnügen“, sagte Paul.
Ihm war die unschätzbare Gabe dosierten Sprechens von vornherein verliehen. Hier erübrigte sich späterhin bei Paul jede Selbsterziehung. Auch in anderen Stücken noch. Ihm fehlten mehrere von den Prügeln, welche wir uns gerne zwischen die gehenden Füße werfen, wahrhaft aus einem nie abreißenden Vorrat.
Sie hatte einen vorbeikommenden Boy angehalten und ihren Wagen befohlen.
„Es ist nicht meiner, sondern auch nur eine Improvisation für die paar Wochen.“
Sie gingen durch die Drehtür. Der Wagen fuhr eben vor, ein mächtiger grauer Daimler. Unsere späteren Gymnasiasten (damals lernten sie eben laufen), wie wir sie schon kennen, Zdenko, Heribert und Fritz, hätten die Lage besser zu genießen, aber weniger genau zu sehen gewußt als unser Paul Harbach damals. Irgendeine Kenntnis, wer diese Ergoletti eigentlich war, besaß er freilich nicht.
Sie verkehrte in Wien, als Gräfin, auch am Rande der sogenannten ,ersten Gesellschaft‘, was ihr aber in Rom aus einigen Gründen nicht möglich gewesen wäre. In München konnte sie am freiesten sich bewegen, einfach weil man die geborene Putzinger dort seit jeher kannte, auch ihr enormes Geld von zweien Seiten, einmal von daheim (als einzige Tochter aber schon ohne Eltern), zum zweiten von dem verstorbenen Conte, der aber ein päpstlicher gewesen war. So machte sie, mit fünfundvierzig, einfach was sie wollte.
Aber das war nicht viel. Und rein durchschnittlich war sie nie gewesen, die Putzinger, und nie im Zustande einer dauernden Verkrötung, in welchem einer gleichsam auf sich selbst draufsitzt. Darum wollte sie was bewirken, aber es war nix. Wenn man jahraus jahrein zwischen München, Rom, Venedig und Wien hin und her fährt, so wird schließlich alles zum Tramway-Rutsch. Es kann in schleichender Weise passieren, bei jemand, der viel reist, daß einzelne, auch kleinere und kleinste Objekte entlang der Strecke und des Bahnkörpers haften bleiben, keineswegs nur die ,Wahrzeichen‘, der Blick nach Prato und Pistoja hinunter, wenn der Zug die Apenninen überwindet oder die sich öffnende Gebirgslandschaft bei Traunstein in Oberbayern oder der Semmeringtunnel. Sondern
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