Die Wasserfälle von Slunj
etwa, wenn man vom Süden kommt, das letzte Wärterhaus vor jenem Tunnel. Es ist aus festen Hausteinen erbaut. Der Ort nahebei heißt Steinhaus. Beides hat nichts miteinander zu tun, will man sich sagen. Das Dorf ist viel älter als die Eisenbahn. Der festgehaltenen Objekte entlang den Eisenbahnstrecken werden mehr und mehr und es werden immer unansehnlichere, immer beschämendere, möchte man fast sagen, und die Zeiten, wo München mit ,Wamsler‘ und Wien mit ,Pittel und Brausewetter‘ allmählich identisch geworden waren, sind längst dahin, und ebenso Roms mächtiger ,Cinzano‘. Sondern man kennt geradezu compromittierende Objektchen ganz genau. Sie sind Nebensächlichkeiten, sicher. Aber sie lassen sich eben nicht mehr übersehen, und sie treten immer dichter aneinander und bilden ein Continuum durch die Reisen, und man bemerkt es, ob man gleich nicht will, daß die zerfallenden Fensterladen des alten Gartenpavillons zwischen Meidling und Baden bei Wien noch immer nicht repariert sind. So droht denn Zwangs-Verkrötung einzutreten, durchaus wie bei einer Straßenbahnfahrt mit dem ,Sechser‘ in München, wo ein kaum hingewandtes Krötenauge die Maxburg eben doch schon wahrgenommen hat, wenn man dann beim Schillerdenkmal aussteigen will.
Darum also wollte sie was bewirken, aber es war nix. Es war nur vieles gut eingefahren und sehr bequem geworden, man konnte leicht in Wien von einer abwesenden Freundin deren Wohnung kriegen für ein paar Wochen, und sogar den Wagen samt Chauffeur dazu, und später einmal revanchierte man sich in München ebenso, während eines Aufenthaltes zu Rom.
Aber es war nix. Die Gartenpavillons mit den noch immer nicht reparierten Fensterladen rückten schon allzu dicht aneinander, entlang der ganzen Strecke.
Inzwischen rollten sie auf der Ringstraße dahin, den breiten grauen Rücken eines livrierten Chauffeurs vor sich, und Paul, statt die Lage zu romantisieren – er vermochte sie auch ohne Beiwerk zu genießen – dachte darüber nach, welche Gründe diese Ergoletti haben könnte, ihn hier mitzunehmen (warum er gleich „ja“ dazu gesagt hatte, darüber dachte Paul nicht nach). Vielleicht wollte sie etwas von seinem Vater. Dann war sie auf dem falschen Wege. Das mußte ihr gegebenen Falles in ausschließender Weise klar gemacht werden. Man sieht, Paul war sich seiner Charge als Sohn bewußt, lehnte sie aber ab. Manche, in solchen Fällen, üben sie wie ein Metier aus. Was sonst? Nichts, beim besten Willen! Er sollte also eine Wohnung begutachten.
Daß es sich um ihn selbst handeln könnte, trat garnicht in sein Bewußtsein. Er gehörte auch nicht zu jenen Gymnasiasten, die bereits wissen, daß lange schlanke Beine in anliegenden Strümpfen auf den oder jenen Professor eine Wirkung haben können. Paul war zwar eine glotzäugige Intelligenz ( γλαυ ϰῶ πις ), aber nicht verdorben und verhurt. Und statt die Wahrheit auf freche Weise in’s Auge zu fassen, spürte er jetzt, daß es sich bei ihm bereits durchaus um diese Ergoletti handelte. Genauer: um eine neue Aura. Um ihren Geruch und um das Parfum, welches sie benützte. Beides war spürbar, beides.
Am Modena-Park war es dann ein nicht ohne Pomp erbautes älteres Haus, aber doch ein Mietshaus mit Etagenwohnungen, wenn auch mit sehr großen. Die Treppe hatte viel Marmor und Schwung, die Wohnungstür war hoch und noch erhöht durch irgendwas obendrauf, ein Sopraporte. Man hörte das Mädchen drinnen, der die Ergoletti geläutet hatte, weil sie viel zu bequem war, um jetzt ihre Schlüssel aus dem Réticule hervorzukramen, wie von weitem und lange herankommen. Als sie öffnete und knixte, sah Paul, daß es ein sehr kleines und unansehnliches Mädchen war, aber korrekt, schwarz-weiß, mit Häubchen. „Mach‘ Tee, Lina, für den jungen Herrn Harbach und mich“, sagte ihre derzeitige Herrin, und: „Ist es warm im großen Salon?“ „Ja, Frau Gräfin, ganz warm“, hieß es, und Paul wurde freundlich angelächelt.
Hier, schon im Vorzimmer, herrschte ein völlig anderer Haus – und Fundamentalgeruch, welcher mit der Ergoletti überhaupt nichts zu tun hatte. Sie kehrte nicht zu sich heim. Paul empfand diesen Sachverhalt lebhaft und scharf, ja, er konnte es geradezu spüren, wie die beiden Auren sich schnitten. Jene hier beheimatete war alt, rein, fast steril und papieren, der Luft in einer großen Bibliothek verwandt (nach ihrem Eintritt in die Zimmer sah Paul hier übrigens auch sehr viele Bücher, aber die Atmosphäre
Weitere Kostenlose Bücher