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Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
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abbekommen, hat der Künstler symbolisch, aber nachvollziehbar plastisch herausgearbeitet.“ Hedi zeigte auf den eingeritzten Namen. „Das Geniale dieses Exponats liegt in seiner scheinbaren Banalität. Dinge, die man zu kennen glaubt, werden in einen völlig neuen Rahmen gestellt und zwingen uns zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit dem Gewohnten. Susanna, ich liebe Dich steht für die Schattenspiele aus Traum und Sehnsucht, hineingeschnitten in das Kleid des Lebens. Beachten Sie die Subtilität der Evolution.“
    Vivienne presste die Hände vor den Mund und verließ fluchtartig den Saal. Hedi verabschiedete sich von der mittlerweile elf Personen umfassenden Gruppe mit der Ermahnung, auch die unscheinbaren Dinge im Leben gebührend zu beachten. „Schließlich wissen Sie nie, ob Sie nicht ein Kunstwerk vor Augen haben.“
    Die Gruppe klatschte Beifall; Clarissa sammelte einundzwanzig Euro und fünfzig Cent Trinkgeld ein. Hedi bat sie, den Betrag für die Schlossrenovierung zu spenden. Als sie hinausging, blieb die Gruppe andächtig vor einer ausgetretenen Zigarettenkippe stehen.
    Vivienne saß auf einer Mauer im Schlosshof und hatte Mühe, ein ernstes Gesicht zu machen.
    „Wette gewonnen!“, sagte Hedi.
    „Nur zu deiner Kenntnis, Hedwig Ernestine: Ich sprach nicht von Evo lution , sondern von Evo kation: das Erwecken von Vorstellungen bei der Betrachtung eines Kunstwerks.“
    „Genau das habe ich gerade da drin gemacht, oder?“
    „Du bist unmöglich.“
    Hedi schaute zum oberen Teil des Schlosses. Die zerstörten Fensterreihen rahmten den blauen Himmel. „Alles bloß Fassade, nicht wahr?“
    „Alles eine Frage der Betrachtungsweise“, konterte Vivienne. „Fenster, die zur Sonne führen, und darüber die Unendlichkeit.“
    „Bis es anfängt zu regnen. Dieser Kunde von Wolfgang ist wirklich interessiert an deinen Bildern. Meinst du nicht ...“
    „Und wenn du dich auf den Kopf stellst: Unter meinem Namen werden diese missratenen Beliebigkeiten nicht verhökert!“
    „Vivienne, bitte. Es sind doch letztlich deine Bilder. Christoph-Sebastian hat sie bloß, nun ja, ein bisschen interpretiert. Sozusagen.“
    „Nein! Das ist mein letztes Wort.“
    Als sie zur Eichmühle zurückkamen, waren Dominique und Uwe einträchtig dabei, Kräuter umzupflanzen.
    „Meine Mutter hat vorhin angerufen“, sagte Uwe. „Sie bringt Christoph-Sebastian etwas später zurück. Sie muss noch ein bisschen Schreibkram erledigen.“
    „Dann ist es wohl besser, ich hole den Bengel gleich ab“, entgegnete Hedi. Bevor sie sich auf den Weg machte, versuchte sie noch einmal, Klaus zu erreichen, aber wieder ging niemand ans Telefon.
    Beim vierten Startversuch sprang der VW-Bus endlich an, und Hedi beschloss, auch gleich einzukaufen, wenn sie ohnehin nach Hassbach fuhr. Im Gegensatz zu Vivienne liebte sie den mit allerlei Krimskrams zugestellten Dorfladen, über dem ein rostiges Emailleschild mit der Aufschrift Kaufhaus Kluge hing. Herr Kluge war ein alter Mann mit schütteren Haaren, Nickelbrille und einem immer freundlichen Lächeln. Er hatte schon hinter der Holztheke an der altmodischen Registrierkasse gestanden, als Hedi noch ein Kind gewesen war.
    Der Laden teilte sich in zwei Bereiche. In dem einen fanden sich Konservendosen, Stiegen mit Salat und Saisongemüse, eine kleine Kühltheke und allerlei Dinge des täglichen Bedarfs, der andere war eine Reise in die Vergangenheit. Ein Kistchen mit bunten Murmeln, in der Verpackung verblichene Papierdrachen und längst aus der Mode gekommene Porzellantässchen und Nippes standen neben verstaubten Einmachgläsern, Blechschüsseln, Reibebrettchen und Schachteln voller Luftballons, Nägel und Schrauben, die man ebenso einzeln kaufen konnte wie Briefumschläge, Löschpapier und Zuckerwerk. Und über allem lag wie eh und je ein geheimnisvoller Duft nach Leder und Lakritz, Kaffee und Zitronenbonbons.
    Hedi kaufte Kartoffeln, Mehl, Zucker, Salat und zehn Bonbons, die Herr Kluge in ein Papiertütchen packte. „Ich würde Frau Stöcker gern eine kleine Freude machen. Haben Sie eine Idee, was ich ihr mitbringen könnte?“, fragte sie, während sie die Lebensmittel in ihrem Korb verstaute.
    Herr Kluge sah sie lächelnd an. „Aber sicher.“
    Er verschwand durch eine schmale Tür, die offenbar in den rückwärtigen Flur führte. Zwei Minuten später kam er mit einer Cellophantüte voll Schokoladenpralinen zurück. „Mit besten Grüßen von meiner Frau. Elli liebt selbstgemachte

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