Die Wassermuehle
war nassgeschwitzt. „Das Zeug muss raus!“
„Aber ...“
„Sonst hole ich augenblicklich einen Arzt!“
Klaus nickte ergeben. Sie half ihm beim Aufstehen und brachte ihn ins Bad. Er hielt ihre Hände fest. „Warum bist du hier, hm?“
„Lass mich bitte los.“
„Du solltest öfter mal so ein Kleid anziehen.“
„Klar! Demnächst komme ich in Stöckelschuhen zum Dienst.“
„Warum kann ich dir kein Kompliment machen, ohne dass du es gleich als Beleidigung auffasst?“
„Du bist betrunken.“
Er lächelte. „Stimmt.“
Sie machte sich los. „Das findest du wohl noch lustig, was?“
„Wir fahren seit Monaten zusammen Streife, und ich weiß fast nichts von dir.“
„Ich komme aus Kassel, wohne in Frankfurt und habe einen festen Freund. Reicht das?“
„Ist er auch bei der Polizei?“
„Nein.“
Er berührte ihr Haar. „Weiß er, wo du jetzt bist?“
„Klaus, bitte lass das, ja?“
„Aber warum denn? Ich finde, du hast ...“
„Hör auf!“ Sie stieß seine Hände weg. „Ich kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn mich verschwitzte Besoffene angrabschen!“
„Bitte entschuldige.“
Sie sah ihm an, wie sehr sie ihn verletzt hatte, und ihr Ausbruch tat ihr leid. „Sieh zu, dass du hier fertig wirst. Ich setze uns derweil einen Kaffee auf, ja?“
Während sie in der Küche nach der Kaffeedose und den Filtertüten suchte, hörte sie im Bad Gepolter und kurz darauf Wasserrauschen. Als Klaus zurück ins Wohnzimmer kam, war er geduscht, rasiert und umgezogen. Am Kinn und auf seiner rechten Wange hatte er blutige Schrammen. Er ging zum Sofa und setzte sich.
Dagmar holte das Kaffeegeschirr und stellte es auf den leergeräumten Couchtisch. „Die Rasur hättest du besser auf morgen verschieben sollen.“
„Ich wollte dich nicht ...“
„Schon vergessen.“ Sie goss ihm Kaffee ein.
Er trank einen Schluck. Dagmar sah, dass er sich krampfhaft bemühte, die Tasse ruhig zu halten. Sein Gesicht war aschfahl. Er lächelte. „Ich finde es nett von dir, dass du vorbeigeschaut hast. Aber du brauchst nicht länger zu bleiben. Ich bin okay.“
„Habt ihr zufällig irgendwo Pflaster im Haus?“
„Im Badezimmmerschrank. Warum?“
Ohne zu antworten, ging Dagmar hinaus. Sie kam mit einem Päckchen Heftpflaster und einer Schere wieder. „Du hast ein ganz schönes Massaker angerichtet.“ Sie setzte sich neben ihn, schnitt zwei Streifen Pflaster ab und klebte sie vorsichtig auf die blutenden Stellen in seinem Gesicht.
„Danke.“
„Keine Ursache.“
„Du musst wirklich nicht bleiben.“
„Willst du mich loswerden, damit du dir den Rest geben kannst?“
„Nein. Ich denke nur ...“
„Herrgott noch mal! Glaubst du etwa, ich sehe nicht, wie beschissen es dir geht?“
K APITEL 32
I m Hof des Heidelberger Schlosses drängten sich fotografierende und plappernde Touristen, Japaner und Amerikaner vor allem, in den weißgetünchten Ausstellungsräumen im Seitenflügel war es ruhig und leer. Während Vivienne begeistert von einem Objekt zum nächsten ging und das Talent, die Kreativität und den Einfallsreichtum der Nachwuchskünstler lobte, stand Hedi vor einer Konstruktion aus Stahlstäben, Spiegeln und blinkenden Lämpchen mit dem Titel Weltengesichter und schaute sich verstohlen nach der Versteckten Kamera um.
Vivienne winkte sie aufgeregt zu einem alten Kaminschacht, in dem jemand bunte Stoffschnipsel angehäuft hatte. „Ein gelungenes Beispiel, wie man Gefühle in eine künstlerische Aussage übersetzen kann. Der Titel Reste korrespondiert mit dem Sujet. Diese Subtilität der Evokation! Einfach fantastisch.“
„Ich hab mal in einer Näherei gejobbt“, sagte Hedi. „Bevor ich die Stelle im Stadtkrankenhaus bekam.“
Vivienne schloss die Augen. „Reste unseres Daseins: Schattenspiele aus Traum und Sehnsucht, herausgeschnitten aus dem bunten Kleid des Lebens.“
„Acht Stunden im Akkord. Abends mussten wir die Abfälle zusammenkehren. Das sah genauso aus.“
„Ein farbiger, weicher Berg in unserem Seelenkamin. Kurz vor dem Verbrennen.“ Vivienne öffnete die Augen. „Das Geniale dieses Exponats liegt in seiner scheinbaren Banalität. Dinge, die man zu kennen glaubt, werden in einen völlig neuen Rahmen gestellt und zwingen uns zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung mit dem Gewohnten. Und mit uns selbst.“
Hedi zeigte auf einen rostigen Container neben dem Ausgang. „Bei all der postmodernen Kunst wird es bestimmt nicht lange dauern, bis der erste Besucher vor der
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