Die Wassermuehle
Kaffee und rührte um. „Wenn ein Fremder von draußen in die gute Stube kommt, tut er gut daran, erst einmal auf dem angebotenen Stuhl Platz zu nehmen, statt sofort damit anzufangen, ihn neu zu streichen.“
„Herr Kluge sagte mir, dass Sie das alte Backhaus vor dem Abriss gerettet haben.“
Elisabeth lächelte. „Die Hassbacher selbst haben es gerettet. Ich musste sie vorher bloß ein bisschen bei ihrer Ehre packen.“
„Und das haben die Bewohner vom Meierhof versäumt?“
„Er versuchte hartnäckig, den Kirchenchor in ein modernes Musiktheater umzufunktionieren, und sie, den Frauentreff mit Events aufzupeppen.“
Hedi musste lachen. „Und was geschieht jetzt mit dem Haus?“
„Ich hoffe, es findet einen Käufer, der Gespür für Mauern und Menschen hat.“
Elisabeth öffnete die Tüte mit den Pralinés und hielt sie Hedi hin. Sie nahm eine der dunklen Kugeln heraus. Die Schokolade zerschmolz auf der Zunge, und die cremige Füllung schmeckte nach frisch geschlagener Sahne und Karamell.
„Ich finde, Erna Kluge macht die besten Pralinés der Welt“, sagte Elisabeth. „Schade, dass es nächstes Jahr damit vorbei ist.“
„Warum das denn?“
„Die Kluges sind beide über siebzig. Sie haben sich ihren Ruhestand wahrlich verdient.“
„Und wer übernimmt den Laden?“
„Niemand.“
„Heißt das, es gibt dann überhaupt keine Einkaufsmöglichkeit mehr im Dorf?“
„Nur noch die Metzgerei vom Stubbe-Schorsch. Aber der ist auch schon Mitte sechzig. Für die jüngeren Leute ist das ja kein Problem, sie fahren sowieso in den Supermarkt. Für die alten, die kein Auto haben, wird es allerdings bitter. Übrigens werde ich ständig gefragt, wann Sie Ihren Dienst antreten.“
„Am ersten September. Ich freue mich schon darauf, wieder arbeiten zu gehen. Dieser Stubbe-Schorsch ... Meinen Sie, er hätte morgen oder übermorgen Zeit, in die Eichmühle zu kommen?“
„Rufen Sie ihn doch schnell an. Eins, sieben, dreimal die Fünf.“
Hedi erreichte ihn tatsächlich und machte einen Termin aus. Sie steckte das Handy weg und sah Elisabeth an. „Dürfte ich Sie etwas Persönliches fragen?“
„Ja. Was denn?“
„Als Ihr Mann starb ... Haben Sie nie daran gedacht, von hier wegzuziehen?“
„Nein.“
„Und warum nicht?“
„Weil Hassbach mein Zuhause ist.“
„Hatten Sie denn keine Sehnsucht nach Ihrem früheren Leben?“
Elisabeth nahm noch ein Praliné. „Ach was. Ich habe festgestellt, dass sich High-Society-Talk und Hassbacher Gartenzauntratsch bestenfalls in ihrer rhetorischen Brillanz unterscheiden.“
Hedi lachte; Elisabeth schenkte Kaffee nach. „Wissen Sie, ich war kein besonders hübsches Kind und auch überhaupt nicht eitel, ganz im Gegensatz zu meiner jüngeren Schwester Cornelia. Dieses ständige Sichherausputzen zu irgendwelchen Frühlingsbällen, Sommerparties, Herbstempfängen und Weihnachtsgalas, auf denen man sich als Mitglied der angesehenen Familie von Rosen unbedingt sehen lassen musste, habe ich genauso gehasst wie das seichte Geschwätz und das verlogen-vornehme Getue dort. Im Prinzip ging es dabei nur um Selbstinszenierung oder die Buhlerei um irgendwelche Kerle.“ Sie lächelte. „Letzteres habe ich zugegebenermaßen vor allem deshalb verabscheut, weil ich mangels optischer Reize meistens in irgendeiner Ecke sitzen blieb. Statt auszugehen, habe ich mich lieber in der Bibliothek meines Vaters verkrochen und alles verschlungen, was man zwischen zwei Buchdeckel pressen kann. Und von einem wunderschönen Prinzen geträumt, der mich irgendwann auf sein Märchenschloss holen würde.“
„Und Ihr Mann war dieser Prinz?“
„O ja! Ludwig sah fesch aus: groß, schlank, dunkelhaarig, und er war so ernst und erwachsen. Na ja, immerhin war er zehn Jahre älter als ich. Wir lernten uns auf einem Bauernhof in Österreich kennen; er war zum Arbeiten dort, meine Schwester und ich zum Faulenzen. Ludwig war der erste Mann, der sich wirklich und wahrhaftig nur für mich interessierte. Und dann diese romantischen Sonnenuntergänge in den Bergen, der alte Hof, die vielen Tiere, das duftende Heu, in dem wir unsere erste gemeinsame Nacht verbrachten ... Ich schwebte im siebten Himmel. Mein Vater drohte mir mit Tod und Teufel, aber er hatte keine Chance, mir Ludwig auszureden.“ Sie schmunzelte. „Als ich ihm sagte, dass ich Ludwig heiraten werde, war das erste Kind schon unterwegs. Noch vor der Hochzeit haben meine Eltern mich enterbt und sozusagen für alle Zeiten aus ihrem
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