Die Wassermuehle
Juliette an, als zweifelte sie an ihrem Verstand. Elisabeth lachte. „Ihre Tante hat historische Tomatensorten gepflanzt. Ein kleines Hobby von mir, und dieses Jahr konnte ich sie endlich überreden, mitzumachen. Wäre ja schade, wenn die schönen alten Sorten auf Nimmerwiedersehen verschwänden, nur weil die Saatgutkonzerne den Markt beherrschen.“
„Lila Kartoffeln und weiße Möhren baut Elli auch an. Du glaubst nicht, wie gut die schmecken!“
„Schön“, sagte Hedi. Wenn sie etwas garantiert nicht interessierte, waren es lila Kartoffeln und weiße Möhren.
„Wir haben vielleicht eine Idee, was wir mit der alten Gärtnerei anfangen könnten“, sagte Juliette.
Hedi goss Vanillesauce über ihren Strudel und probierte. Er schmeckte noch köstlicher als er roch. Aber nicht einmal das konnte ihre Laune heben. Das so selbstverständlich dahingesagte Wir ärgerte sie. Und die Zukunft der verfallenen Gewächshäuser jenseits der Streuobstwiese interessierte sie noch weniger als lila Kartoffeln. „So? Was denn?“
„Ellis Sohn hat Interesse, sie wiederzueröffnen“, sagte Juliette.
„Nun ja. Erst einmal muss er seine Lehre beenden“, sagte Elisabeth verlegen. „Und sich nach einem geeigneten Partner umsehen.“
„Ich würde mich freuen, wenn es klappt“, sagte Juliette. „Dann käme wieder ein bisschen Leben in die alte Mühle.“
Hedi sah sie erstaunt an. „Aber dir hat es doch nie etwas ausgemacht, allein zu leben.“
„Hedilein, ich werde alt. Und alte Leute fangen an, weiße Mäuse zu sehen.“ Sie zog eine Nadel aus ihrem Dutt und steckte eine störrische Locke fest. Ihr Haar war grau, solange Hedi denken konnte. Wenn sie es nach dem Waschen offen trug, fiel es bis zur Taille. Silbernes Wolkenhaar hatte Hedi als Kind gesagt und gehofft, dass ihre eigenen dünnen Zöpfchen eines Tages bis zu den Zehenspitzen wachsen würden. Die Courths-Mahler war schuld, dass es anders gekommen war.
„Wir haben auch schon daran gedacht, einen Teil der Mühle zu vermieten“, sagte Elisabeth. „Nur: Wer zieht freiwillig hier heraus?“
Hedi war es, als hätte ihr jemand einen Faustschlag versetzt. Tante Juliette war stark und fröhlich und klagte nie. Sie las keine Romane von Hedwig Courths-Mahler und war auch sonst das Gegenteil von Marianne Klammbiel. Deshalb liebte Hedi sie. Und hatte vergessen, dass sie sechsundachtzig war: sechzehn Jahre älter als Frau Beck, die sie am Morgen getröstet hatte, weil ihre Tochter nicht kam. „Warum hast du denn nicht angerufen, wenn es dir nicht gut ging?“
Juliette lachte. „Nun mach nicht so ein Gesicht, Hedilein! Elli hat bloß überlegt, wie man einer alten Schachtel wie mir ein bisschen Trubel ins Haus bringen könnte.“
„Juliette, du solltest ehrlich zu ihr sein.“ Elisabeth sah Hedi an. „Anfang August ist sie beim Hühnerfüttern gestürzt, und wenn ich nicht zufällig vorbeigekommen wäre ...“
Hedi wurde blass. „Warum weiß ich nichts davon?“
„Der Fuß ist wieder heil, und basta“, winkte Juliette ab. „Außerdem kommt die liebe Elli jeden Tag zufällig vorbei.“
„Ich brauche Abwechslung vom Dorftratsch“, sagte Elisabeth.
Juliette zwinkerte Hedi zu. „Der Dorftratsch ist so schlimm, dass sie mich kein Gras mehr für die Kaninchen mähen lässt, mir verbietet, den Hühnerstall auszumisten und den Hof zu kehren.“
Elisabeth grinste. „In Wahrheit komme ich nur, um deine Räucherkammer zu benutzen und Frühstückseier abzustauben.“
„Und um die Anbaufläche für vom Aussterben bedrohte Tomatensorten zu vergrößern“, fügte Juliette hinzu.
Hedi war nicht nach Scherzen zumute. „Vielleicht wäre es besser ...“
„... in ein Altersheim zu gehen?“ Juliettes Augen funkelten. „Bevor ich freiwillig einen Fuß in eine dieser ärztlich überwachten Seniorenentsorgungsstätten setze, springe ich in den Mühlteich!“
Hedi und Elisabeth wechselten einen schnellen Blick. Juliette lachte. „Keine Sorge. Zur Zeit denke ich weder über das eine noch über das andere nach. Und jetzt sollten wir endlich den Apfelstrudel essen, bevor er kalt wird.“
Hedi blieb, bis es dunkel wurde. Doch nicht einmal als Elisabeth gegangen war, wollte sich das alte Gefühl der Vertrautheit zwischen ihr und Juliette einstellen.
Kurz vor acht war sie zurück in Offenbach. Dominique lag auf der Couch im Wohnzimmer und studierte einen Modekatalog, Sascha war unterwegs. Von Klaus lag ein Zettel in der Küche. Deine Freundin hat angerufen. Muss das
Weitere Kostenlose Bücher