Die Wassermuehle
haben beschlossen, demnächst Webcams anzuschaffen; dann können wir uns beim Reden zuzwinkern.“ Sie schmunzelte. „Seit es das Internet gibt, ist Hassbach der Nabel der Welt. Einen Moment noch, ja?“
„Lass dich nicht stören.“ Hedi stellte ihre Tasche ab und schaute sich ein wenig um. In einem Regal neben der Tür stand tatsächlich der Grimm , dreiunddreißig schmucklose blaue Bände. Sie nahm die Nummer siebenundzwanzig heraus und schlug unter Wassermühle nach. Durch wasserkraft getriebene mühle; von den Römern überkommen, verdrängte sie die handmühle (ahd. quirn). Es gehet gleich, wie jhenem narren, der eine wassermullen auff einen hohen berg bawet (Luther). Das gemüt eines weisen standhaften menschen ist wie das wassermühlenrad, ob es schon um und um vom wasser wird getrieben, so änderts sich doch nicht (Lehmann).
Hedi stellte das Buch zurück und ging die Regalreihen ab. Lexika und Literaturklassiker reihten sich neben Gedichtbänden, historischen Kochbüchern und einer mehrbändigen Geschichte der Gartenkunst. Dazwischen ein unscheinbarer Sammelband: Griseldis. Die Bettelprinzess. Scheinehe. Es war wie ein Zwang, darin zu blättern; jedes Wort eine Reise in die Vergangenheit. Ängstlich sah sie sich um. Und da erblickte sie plötzlich in einem hohen Spiegel ihr eigenes Bild.
„Sie wurde als Fourths-Malheur und Kotz-Mahler verspottet und war doch die erfolgreichste und reichste deutsche Autorin aller Zeiten“, sagte Elisabeth.
Hedi klappte das Buch zu. „Es gab nichts, was ich als Kind mehr gehasst habe als die Courths-Mahler und ihre grässlichen Kitschromane.“
„Warum das denn?“
„Ich verdanke ihr nicht nur meine Vornamen, sondern auch eine Mutter, die ernsthaft glaubte, dass mich dereinst ein Graf oder Baron auf sein Schloss entführen und ehelichen würde. Leider vergaß sie darüber so profane Dinge wie Kochen und Saubermachen. Die Bettelprinzess hat sie ganz besonders geliebt. Weil die Mutter der kleinen Liselotte darin so eine tragische Figur ist.“ Hedi sah an Elisabeth vorbei zum Fenster. „Da es leider keine Kutschen mehr gab, von denen sich die ebenso tragische und aufopferungsvolle Marianne Klammbiel überfahren lassen konnte, hängte sie sich an einem Dachbalken auf. Allerdings nicht, ohne mir vorher Bescheid zu sagen. Weil sie das mindestens einmal pro Woche tat, habe ich ihr nicht geglaubt.“
Elisabeth legte ihre Hand auf Hedis Schulter. „Lass uns nach unten gehen und einen Kaffee trinken, ja?“
Hedi folgte ihr schweigend ins Wohnzimmer. Elisabeth stellte Tassen und ein Schälchen Kekse auf den Tisch und setzte Kaffee auf. Hedi gab ihr die Keramikdose. „Eine Kleinigkeit aus meiner Werkstatt mit besten Grüßen von den Kluges.“
„Die ist aber hübsch!“ Elisabeth nahm ein Praliné heraus und hielt die Dose Hedi hin, aber sie winkte ab. „Juliette erzählte mir, dass du deine Mutter damals gefunden hast. Es muss furchtbar gewesen sein.“
Hedi knetete ihre Finger. „Sie hatte sich wie eine Braut angezogen, und um ihren Hals hing ein rosa Band mit einem Zettel daran. Warum hast du mich allein gelassen? Dabei habe ich jeden Tag nach ihr geschaut, und Klaus hatte sich sogar versetzen lassen, damit wir näher bei ihr wohnten und uns um sie kümmern konnten. Als sie starb, war ich im fünften Monat schwanger. Nächtelang sah ich sie an diesem Balken hängen und dann auf den Boden fallen.“
„Juliette hat sich die größten Vorwürfe gemacht.“
„Sie hat gesagt, dass sie meine Mutter als Kind zu sehr verwöhnt habe. Aber ich glaube nicht, dass das der Grund war.“
Elisabeth nickte. „Deine Tante konnte am allerwenigsten dafür. Sie hatte es ja selbst schwer genug.“
Hedi sah sie neugierig an. „Juliette hat mir sehr wenig von sich erzählt. Ich weiß nur, dass sie sich um meinen Großvater gekümmert und nach seinem Tod die Eichmühle übernommen hat. Und dass sie oft Streit mit meiner Mutter hatte.“
„Als ich damals nach Hassbach kam, galt Juliette Klammbiel als verschrobene alte Jungfer, die ihrem früh verwitweten Vater den Haushalt führte“, sagte Elisabeth. „Nun ja, sie hat allerdings auch nicht viel getan, um dieses Bild zu korrigieren. Marianne lebte zu dieser Zeit schon nicht mehr hier, aber die Leute erzählten, dass Juliette ihre kleine Schwester quasi wie eine Mutter aufgezogen habe. Für deinen Großvater war sie zeitlebens nicht mehr als eine kostenlose Köchin und Putzfrau. Deine Mutter hingegen hat er vergöttert, ihr
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