Die Wassermuehle
war, wenn es Abend wurde.“
Klaus sah sie schweigend an.
„Er versuchte jahrelang, seine Sucht vor mir zu verbergen. Tagsüber trank er heimlich, zum Abendessen stand die Flasche offen auf dem Tisch. Als ich älter wurde, habe ich das Zeug oft einfach ins Klo gekippt. Und ihm neues gekauft, wenn er mich weinend darum bat. Ich brauchte lange, um zu begreifen, dass er nur dann mein wunderbarer Daddy sein konnte, wenn er sein Quantum intus hatte. In den kurzen Zeiten, in denen er versuchte, davon wegzukommen, war er fahrig und gereizt. Abends wurde er wehleidig, erzählte mir von Mutter, wie sehr er sie noch immer liebte, und dass er nicht verstand, warum sie gegangen war. Nachts wurde ich davon wach, dass er irgendwelche Frauen heimbrachte, die meistens genauso betrunken waren wie er. Ich hasste ihre schrillen Stimmen und ihre angemalten Gesichter, den Gestank ihrer Kleider nach Zigaretten und Fusel; ich hasste, was er mit ihnen in seinem Schlafzimmer tat, und ich hasste, was sie mit ihm taten. Keine blieb länger als ein paar Tage. Ich gab mir die Schuld. Ich konnte ihn nicht trösten, also musste er zu diesen Flittchen gehen.“
„Und deine Mutter hat sich in all den Jahren nicht ein einziges Mal nach dir erkundigt?“, fragte Klaus leise.
Sie schüttelte den Kopf. „Er hatte ein Bild von ihr in seiner Brieftasche. Wir haben es uns oft zusammen angesehen. Sie war ein Engel, sagte er. In meiner Fantasie trug sie Flügel und ein duftendes, weißes Kleid. Ich bildete mir ein, ich müsse nur artig sein und fest genug beten, damit der liebe Gott sie zu uns zurückschickt. Mit dreizehn begann ich sie zu hassen.“
Eine Streife vom Zweiten Revier meldete die Aufnahme eines Verkehrsunfalls. Dagmar starrte auf das Funkgerät. „Ich hab’s mit Reden versucht, ich hab ihn angefleht, drohte ihm zu gehen. Ich wälzte Fachbücher, suchte Suchtberatungsstellen auf, meldete ihn zum Entzug an. Es half alles nichts. Zerebelläre Koordinationsstörungen, Kleinhirnrindenatrophie, akute Pankreatitis, alimentäres Fettleber-Zirrhose-Syndrom, Delirium tremens ... O ja, theoretisch wusste ich Bescheid.“
Sie weinte. „Weißt du, wie elend Alkoholiker zugrunde gehen? Wie erbärmlich sie verrecken? Er krümmte sich auf dem Boden und schrie vor Schmerz. Er bekotzte unsere Teppiche und Möbel. Und mich. Wusste nicht mehr, wer und wo er war. Hör nur, wie hübsch sie singt, Kind. Deine Mutter ist wieder da. Und dann redete er mit ihr. Das war das Schlimmste.“ Sie fuhr sich mit dem Ärmel ihrer Uniformjacke übers Gesicht.
Klaus gab ihr ein Taschentuch. „Es tut mir so leid.“
Sie schnäuzte sich. „Schon gut.“
„Weiß Sven davon?“
„Nein.“ Sie steckte das Taschentuch ein. „Sein Vater ist Schulleiter an einem Kölner Gymnasium. Seine Mutter war Lehrerin und gab für ihn und seine Schwestern ihren Beruf auf. Sven liebt seine Eltern und kann nicht verstehen, dass ich für meine Mutter bloß Verachtung empfinde. Er will, dass ich mich mit ihr versöhne.“
„Wie soll er dich denn verstehen, wenn er deine Geschichte nicht kennt? Du solltest ihm die Wahrheit sagen.“
„Wir sollten reinfahren. Bevor Hans-Jürgen uns vermisst.“
Er sah sie unsicher an. „Bist du okay?“
Sie nickte. Klaus startete den Wagen und wendete.
„Was war eigentlich heute Morgen los?“, fragte Dagmar, als sie in die Waldstraße einbogen. „Michael erwähnte, dass irgendwas mit deinem Sohn sei.“
Klaus fuhr in Richtung Innenstadt. „Wenn Sascha Frühstück macht, dauert’s meistens länger. Wir haben geredet. Er will ausziehen.“
„Oh. Tut mir leid.“
„Ich sagte ihm, dass ich dieselbe Absicht habe.“ Dagmar sah ihn überrascht an. Er grinste. „Ich befolge nur deinen Rat: Odenwald statt Scheidungsanwalt.“
Sie lächelte. „Und wie kommst du zu dieser plötzlichen Einsicht?“
„Weisheit? Dummheit? Wer weiß das schon, hm?“
„Was hat sie gesagt?“
„Ja, glaubst du, das mache ich telefonisch? Morgen überreiche ich ihr einen Strauß rote Rosen und bitte in aller Form um Zuzugsgenehmigung.“
„Rote Rosen? Wenn das mal gutgeht! Im Ernst: Ich freu mich für dich.“
„Wenn du darauf hoffst, dass du jetzt endlich mit Hans-Jürgen Streife fahren kannst, muss ich dich enttäuschen. Dienstlich bleibe ich Offenbach vorerst erhalten. Zumindest so lange, bis sie uns von Amts wegen auflösen.“
„Ich habe gehört, dass es eine Unterschriftenaktion geben soll.“
Klaus lachte. „Dafür oder dagegen?“ Er bog in
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