Die Wassermuehle
den Zehntausend rein. Ich habe dir für Viertel vor eins ein Taxi bestellt. Wenn du bei Bianca fertig bist, kannst du dich in Ruhe hier umziehen. Ich lasse dich dann abholen.“
„Sei mir nicht böse, aber ich möchte das nicht.“
Er nippte an seinem Whisky. „Was möchtest du nicht?“
„Ich denke, meine Frisur gefällt mir, wie sie ist.“
„Zu spät. Wie ich Bianca kenne, hat sie die Rechnung schon geschrieben.“
„Wolfgang, bitte! Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass du das bezahlst.“
„Gönne mir doch den kleinen Spaß. Es trifft ja keinen Armen.“
„Ich lasse mich nicht aushalten!“
„Entschuldige. Wenn du darauf bestehst, sage ich Bianca selbstverständlich ab.“
Hedi sah die Enttäuschung in seinem Gesicht. „Na gut. Aber wenn ich hinterher aussehe wie ein Besen, nehme ich dich in Regress.“
Er lachte. „Ich habe einen guten Anwalt.“
Das Telefon klingelte. Wolfgang trank den Whisky aus und nahm ab. „Es tut mir leid“, sagte er, als das Gespräch beendet war. „Es gibt ein kleines Problem mit dem Setting. Wir sehen uns um drei in der Galerie, ja?“
Hedi zuckte die Schultern. „Ich habe ohnehin noch ein paar Seiten im Werther zu lesen.“
„Den Champagner heben wir uns aber für heute Abend auf“, entgegnete er mit einem Lächeln. Bevor Hedi etwas sagen konnte, beugte er sich zu ihr herab und küsste sie.
* * *
Der Fahrer hatte sich verspätet und setzte Hedi erst um Viertel nach drei an der Galerie ab. Das mehrgeschossige Gebäude war schmucklos und grau. Vor den Fenstern im ersten Stock hingen verwelkte Geranien. Das Schaufenster neben der Hofeinfahrt war mit Silberfolie ausgeschlagen und mit nur einem einzigen Bild dekoriert, sofern man eine durch und durch blaue Leinwand überhaupt als Bild bezeichnen konnte. Bleu , stand darunter, 440-495 nm. Wäre das Schild nicht gewesen, hätte Hedi Zweifel gehabt, an der richtigen Adresse zu sein. W. Bernsdorf. Kunstgalerie. Einen angesagten Treffpunkt der Münchner Schickeria hatte sie sich anders vorgestellt.
Bevor sie hineinging, betrachtete sie sich prüfend im spiegelnden Glas der Schaufensterscheibe. Das Chasuble-Kleid passte wirklich perfekt. Sie fuhr mit der Hand durch ihr Haar und lächelte. Bianca war deutlich über fünfzig, hatte grüne Locken und lila Lippen und trug eine Garderobe, gegen die Viviennes Klamotten Konfirmandenkleidchen waren. Hedi hatte sich ans andere Ende der Welt und Wolfgang stante pede in die Hölle gewünscht.
Bianca lachte. „Keine Angst, Kindchen! Vergewaltigt wird bei mir niemand.“
Am liebsten wäre Hedi davongerannt. Stattdessen hörte sie sich schweigend Biancas Vorschläge an und sah bedauernd zu, wie sich eine beachtliche Menge ihrer seit Weihnachten nachgewachsenen Haare auf dem Boden wiederfand. Zum Schluss der Prozedur verteilte Bianca summend eine violett schimmernde Masse auf Hedis Kopf. Das Ergebnis hatte ihr die Sprache verschlagen.
Das ehemals stumpfe Braun mit den störenden Silbersträhnen darin war einem warmen Goldton gewichen, und statt Coiffeur Pierres herausgewachsener Zottelmähne trug sie einen flotten Ponybob mit Zickzackscheitel.
„Na? Habe ich zuviel versprochen? Und jetzt kümmere ich mich noch ein bisschen um dein Gesicht, Kindchen. Und zwar so, dass du’s garantiert kaum merkst.“
Drei abgetretene Steinstufen führten zum Eingang. Die holzvertäfelte Tür knarrte beim Öffnen. Durch einen langen Flur gelangte Hedi in einen mit Bambus bepflanzten Lichthof und von dort in die ebenerdig gelegene Galerie, die durch geschickt angeordnete Fenster in ein weiches Licht getaucht wurde. Es war voll. Hedi hörte Wolfgang sprechen, aber sie sah ihn nicht. Auch Brigitte konnte sie nirgends entdecken. An den Wänden hingen Bilder, aber keines von Vivienne.
Wolfgang beendete seine Eröffnungsrede. Die Besucher klatschten und verteilten sich als schwatzende Grüppchen im Raum. Jetzt sah Hedi auch Viviennes Arbeiten. Sie waren auf Stellwänden in der Mitte der Galerie montiert und zogen schon allein ihrer Größe und Platzierung wegen die Blicke auf sich. Wolfgang trug einen cremefarbenen Anzug und hatte sein Haar mit Gel aus der Stirn gekämmt. Er hielt ein Sektglas in der Hand und unterhielt sich angeregt mit einem bezopften Mittvierziger.
Zwei junge Mädchen in Miniröcken gingen herum und reichten Kanapees. Hedi dachte an die Silvesterfeier bei Bernd und Anette. Und an Klaus. Wahrscheinlich lag er nach dem Frühdienst im Bett und schlief.
„Hallo,
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