Die Wassermuehle
glücklich?“
„Nur eins beglückt zu jeder Frist: Schaffen, wofür man geschaffen ist.“
„Und wofür bist du geschaffen?“
„Für die Malerei.“
„Aber hast du neulich nicht gesagt, dass dich die Liebe zur Malerei unglücklich macht?“
„Ich habe nur ein bisschen Paul Klee interpretiert. Glück ist letztlich das Abfallprodukt im Streben nach Vollendung. Und Vollendung zu erreichen, heißt zu leiden. Glück und Leid sind eins, verstehst du?“
„Nein.“
„Genauso, wie sich der scheinbare Widerspruch zwischen kausaler Determination und Freiheit auf höherer kategorialer Stufe auflöst, wird ...“
„Entschuldige, das ist mir zu kompliziert.“
„Also gut: Glück besteht aus einem soliden Bankkonto, einer guten Köchin und einer tadellosen Verdauung.“
„Was?“
„Das hat Jean-Jacques Rousseau behauptet. Der war Philosoph und hat ein ziemliches Lotterleben geführt. Obwohl ich mit seinem Discours sur les sciences et les arts in wesentlichen Punkten nicht übereinstimme, meine ich doch ...“
Hedi trank ihren Tee aus. „Also ehrlich: Wie kriegst du nach dieser Nacht noch solche Satzgebilde zustande? Ich habe schon ein Problem damit, mich zu erinnern, wann und wie ich überhaupt auf dieses Sofa gekommen bin. Außerdem muss ich jetzt wirklich los.“
Vivienne lächelte. „Einen Moment noch.“ Sie ging hinaus und kam mit einem Taschenbuch zurück. „Damit du nicht glaubst, dass ich nur in abgehobenen Sphären schwebe: Manchmal liebe ich es, mich ganz profan unterhalten zu lassen. Zum Beispiel durch das hier.“ Sie drückte Hedi das Buch in die Hand. „Der neue Roman von Verena Kind. Musst du unbedingt lesen! Frech, witzig und mitten aus dem Leben gegriffen. Die Männer bekommen so richtig ihr Fett weg!“
Hedi massierte ihre Schläfen. „Ich habe keine Zeit zum Lesen.“
Vivienne zwinkerte ihr zu. „Keine Angst: Im Gegensatz zu Goethe und Schiller kannst du Das Wahnsinnsweib entspannt nach dem Bügeln oder vor der Nachtschicht schmökern.“
„Na dann.“ Hedi steckte das Buch ein.
„Ich hätte dich gerne zu meiner Silvesterparty eingeladen“, sagte Vivienne. „Schade, dass du anderweitige Verpflichtungen hast.“
„Daran brauchst du mich nun wirklich nicht zu erinnern.“
„Sehen wir uns vorher noch?“
Hedi kramte nach ihrem Autoschlüssel. „Ich glaube nicht. Ich muss zwischen den Jahren arbeiten.“
Die Küche sah nur halb so schlimm aus, wie Hedi befürchtet hatte. Dominique trug eine Schürze über ihrem Minirock und versuchte, die Gans aus dem Backofen zu manövrieren.
„Hallo, Mama“, sagte sie mit unbewegter Miene.
„Soll ich dir helfen?“
„Ich schaff’s schon allein.“
„Was gibt es denn dazu?“
„Sascha holt Pommes.“ Dominique gab Hedi ein Messer. „Du könntest den Vogel schon mal aufschneiden.“
Hedi mühte sich vergeblich. „Kann es sein, dass du sie nicht lange genug im Ofen gelassen hast?“
„Ich habe sie genau so lange drin gelassen, wie es im Kochbuch steht!“
Hedi verfrachtete die Gans wieder in den Bräter und schob sie in die Röhre zurück. Ihr Blick fiel auf das Glas mit der Sauerbratenmischung; es war leer. „Hast du etwa damit die Gans gewürzt?“
Dominique zog ein beleidigtes Gesicht. „Ich versuche, dir eine Freude machen, und du meckerst bloß rum!“ Als Hedi ihr übers Haar streichen wollte, drehte sie sich weg.
Sascha und Klaus kamen gleichzeitig nach Hause. Sascha kippte vier Tüten McDonalds -Pommes in eine Salatschüssel und trug sie ins Esszimmer. Klaus gab Hedi einen Kuss und klopfte Dominique anerkennend auf die Schulter. „Was sagst du zu unserer Tochter!“
„Unsere Tochter hat die Gans im Sauerbratengewürz gewälzt.“
„Da stand nirgends was davon, dass man das nicht auch für Gänse nehmen kann“, verteidigte sich Dominique.
Klaus lächelte. „Warten wir halt ab, wie’s schmeckt.“
Sie warteten, bis die Pommes frites kalt waren. Klaus zerlegte die Gans. „Igitt! Was ist das denn?“ Er zog eine geschmolzene Frischhaltetüte mit klumpigem Inhalt aus dem Braten.
„Sag bloß, du hast die Innereien nicht rausgenommen?“, rief Hedi.
„Woher soll ich bitte wissen, dass das Vieh seine Eingeweide im Plastikbeutel mit sich rumschleppt?“
Klaus legte das Messer beiseite. „Wisst ihr was? Ich opfere meine Dezembergroschen von Tachnon und lade euch in ein piekfeines Restaurant zum Essen ein.“
„Wo?“, fragte Dominique.
Klaus streifte ihren Rock mit einem missbilligenden Blick.
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