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Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
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auf dem Schotterweg zur Mühle zeichneten sich Reifenspuren ab. Hedi ärgerte sich, dass sie nicht vorher angerufen hatte. Am Ende hockte das Prinzesschen bei Juliette, und das wäre das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte. Als sie auf den Hof fuhr, sah sie weder Elisabeths Fahrrad noch ihr Auto und atmete auf. Sie parkte den Wagen vor dem Hühnerstall und freute sich auf Juliettes Gesicht.
    In der Küche brannte Licht, aber es blieb ruhig, als Hedi klingelte. Auch auf ihre Rufe bekam sie keine Antwort. Ratlos ging sie zur Scheune. Die Luke des Hühnerstalls war geschlossen, Juliettes Käfer stand mit geöffneter Motorhaube im Geräteraum; die Kaninchen mümmelten Heu. Der Haustürschlüssel steckte hinter demselben Balken wie früher. Hedi kehrte zum Mühlhaus zurück und schloss auf. Sie rief nach Juliette, sah in jedem Zimmer, im Keller und sogar auf dem Dachboden nach, aber ihre Tante war nirgends zu finden. Im ganzen Haus war es kalt. Und im Wohnzimmer stand kein Weihnachtsbaum. Hedi überlegte einen Moment und suchte dann aus Juliettes Adresskalender die Nummer von Elisabeth heraus. Traurig brachte sie den Schlüssel zurück.
    Hinter Hassbach hielt sie auf einem Parkplatz und rief Elisabeth an. Wie Hedi vermutet hatte, war Juliette bei ihr.
    „Hallo, Hedilein“, meldete sie sich fröhlich. „Stell dir vor, Elli war so lieb, mich dieses Jahr einzuladen.“
    „Wenn ich geahnt hätte, dass du dich einsam fühlst, hättest du zu uns kommen können!“, sagte Hedi.
    „Nun sei nicht gleich beleidigt, wenn deine verrückte Tante mal ausbüxt. Schneit’s bei euch in Offenbach auch?“
    „Ein bisschen.“
    „Ich glaube, Elli möchte mit dir reden. Ich gebe sie dir mal, ja?“
    „Nein! Ich ...“
    „Juliette sagte mir, dass sie Sie und Ihre Familie morgen zum Essen eingeladen hat“, meldete sich Elisabeth.
    „Mhm.“ Was gingen das Prinzesschen Juliettes Einladungen an?
    „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, statt in die Eichmühle zu mir nach Hassbach zu kommen?“
    „Könnten Sie mir bitte verraten, was los ist, Frau Stöcker?“
    Elisabeths Stimme wurde so leise, dass Hedi Mühe hatte, sie zu verstehen. „Juliette hat eine schlimme Grippe hinter sich und ist noch ein bisschen wacklig auf den Beinen. Aber Sie wissen ja, dass sie das niemals zugeben würde.“
    „Ich habe das Gefühl, dass ich langsam gar nichts mehr weiß.“
    „Ich wollte Sie ja anrufen. Ihre Tante hat es mir verboten. Sie will nicht, dass Sie sich ihretwegen Sorgen machen.“
    „Die mache ich mir aber!“
    „Ich denke, in ein paar Tagen ist sie wieder fast die Alte. Trotzdem sollten wir uns morgen vielleicht mal unterhalten.“
    Hedi schluckte. „Deswegen rufe ich an. Ich wollte die Einladung absagen. Mein Mann muss arbeiten.“
    „Das tut mir leid.“
    „Ja. Schöne Weihnachten.“
    „Ihnen auch.“
    „Danke.“
    Hedi schaltete das Handy aus und steckte es weg. Sie starrte aufs Armaturenbrett. Die Anzeigen verschwammen vor ihren Augen. Der Kloß im Hals tat weh. Ein einziges Mal hatte sie Juliette am Heiligen Abend nach Offenbach geholt. Es war keine gute Idee gewesen. Genausowenig, wie es eine gute Idee war, jedes Jahr aufs Neue sentimentale Kindheitserinnerungen heraufzubeschwören, die nichts mehr mit ihrem Leben zu tun hatten! Sie startete den Motor und fuhr nach Offenbach zurück.
    Ausnahmsweise fand sie einen Parkplatz direkt vor dem Haus. Die Bosnier im Erdgeschoss hatten die Rollläden nicht heruntergelassen. In dem karg eingerichteten Wohnzimmer stand ein mit Nippes und bunten Lichtern behängter Baum. Aus Rosa Eckligs Wohnung drang weihnachtliche Orgelmusik.
    Im dritten Stock war es dunkel und still. Von dem Malheur in der Küche war nichts mehr zu sehen, die krumme Fichte stand fertig geschmückt auf einem Tischchen neben der Couch. Leonardo hatte sich auf Dominiques Bett zusammengerollt und schlief.
    Im Esszimmer lag ein Zettel von Sascha. Bin um halb sieben zurück. – Ich auch, hatte Dominique dazugekritzelt. Hedi holte die Geschenke aus dem Wäscheschrank, stellte sie unter den Baum und schaltete die elektrische Beleuchtung ein.
    „Mami, wann kommt denn endlich das Christkind?“
    „Wenn du das Glöckchen hörst, Schatz.“
    „Macht das Christkind vorher die Baumlichter an?“
    „Du bist ja doof, Dominique! Das Licht schaltet Papa ein, und Mama bimmelt mit der Glocke.“
    „Du lügst! Gell, Mami, der Sascha lügt!“
    Hedi zog den Stecker, und der Baum wurde dunkel. Sie dachte an den ruinierten

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