Die Wassermuehle
rund. Aber das kann uns ja egal sein.“
„Hätte ich gewusst, was mich zum Jahreswechsel erwartet, hätte ich aufs Dienstfrei verzichtet.“
„Warum? Wo feiert ihr denn?“
„In der Kronberger Bankervilla meines beruflich erfolgreichen Bruders. Hedi hat sich extra ein neues Outfit zugelegt.“
„Du auch?“
„Sehe ich so aus?“ Klaus hielt an einer Ampel. „Mein großer Bruder und ich hatten schon im Sandkasten konträre Lebensansichten.“
„Warum gehst du dann hin?“
„Als ich in die Schule kam, hat er mich angestiftet, im Supermarkt eine Tüte Gummibärchen zu klauen. Zur Belohnung bezogen wir beide eine Backpfeife und durften eine Stunde lang in der Ecke stehen. Das verbindet.“
„Es ist nicht zu fassen!“, sagte Uli lachend. „Ich bin jahrelang mit einem Kriminellen Streife gefahren und wusste nichts davon?“
Klaus grinste. „Die Kollegen waren damals entschieden netter zu mir als meine Mutter. Aus Dankbarkeit beschloss ich, Polizist zu werden.“ Die Ampel sprang auf Grün.
Uli räusperte sich. „Mit wem wirst du jetzt fahren?“
„Keine Ahnung.“
„Hat Michael nichts gesagt?“
„Nein.“
„Die Neue ist nett, oder?“
„Mhm.“
„Na ja, noch ein bisschen grün hinter den Ohren. Aber wenn sie erst mal ein Weilchen dabei ist ...“
Klaus bog in die Kaiserstraße ein. „Ich versuch’s mit Stampe.“
„Die Entscheidung, in den Tagdienst zu gehen, ist mir nicht leichtgefallen.“
„Schon gut.“ Klaus deutete auf einen rostigen Kastenwagen mit polnischen Kennzeichen, der vor ihnen herzockelte. „Was hältst du davon, Fahrer und Ladung etwas näher zu betrachten?“
„Viel, Kollege.“
Klaus gab dem Wagen das Signal zum Halten. Der Laderaum war leer und der Fahrer eine Fahrerin, die kein Deutsch verstand und gestenreich zu verstehen gab, dass sie sich gerade auf dem Weg von Offenbach nach Polen befand. Ihre Papiere waren in Ordnung, und sie ließen sie weiterfahren.
Als Klaus in den Garagenhof des Vierten Reviers einbog, erhielten sie über Funk den Auftrag, einen Verkehrsunfall in der Bettinastraße aufzunehmen. Klaus fluchte. Er hasste Unfallaufnahmen. Es gab nichts Nervenaufreibenderes als Debatten mit den Insassen verbeulter Kraftfahrzeuge.
Der Unfallfahrer, ein schmächtiger, ungepflegter Mann in den Vierzigern, hatte seinen altersschwachen Peugeot regelrecht um eine Straßenlaterne gewickelt. Die Alkoholfahne roch Klaus schon, als er noch zwei Meter entfernt war. Uli scheuchte die Schaulustigen weg und untersuchte die demolierte Laterne. „Das dürfte Sie wohl eine Kleinigkeit kosten.“
Der Mann zuckte die Schultern. „Des Ding, wo ich vorletzte Woch umgefahrn hab, des hatt genau achthunnertfünfunzwanzich Euros gekost.“
Klaus holte das Alkoholtestgerät und forderte den Unfallfahrer auf, hineinzublasen. Der sah Klaus mit glasigem Blick an und nuckelte an dem Mundstück herum, bis ihm der Speichel das Kinn herunterlief.
„Mein Gott! Hören Sie sofort auf!“ Klaus nahm ihm das Gerät weg und legte es angewidert in die hinterste Ecke des Streifenwagens. Uli machte Fotos von dem Peugeot und der Laterne, bestellte einen Abschleppdienst und eine Streife zur Unterstützung. Als sie eingetroffen war, gab Klaus Uli die Autoschlüssel und verfrachtete den Unfallfahrer auf den Rücksitz. Er setzte sich ebenfalls nach hinten. Uli stieg ein und fuhr los.
„Schaukel net so“, rief der Betrunkene. „Mir werd schlecht.“
„Unterstehen Sie sich, in den Streifenwagen zu reihern!“, sagte Klaus.
„Unn alles wejen der Alten“, schimpfte der Mann, als ihm der Arzt im Vierten Revier eine Blutprobe abnahm. „Ich könnt des Weib umbringe!“
Eine halbe Stunde später erschien eine etwa vierzigjährige Frau auf der Wache. Sie wog mindestens einhundet Kilo und hatte pinkfarbene Leggings an. „Wo isser?“, schrie sie, noch bevor sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte.
Klaus holte den Unglücksfahrer in den Wachraum. Er setzte zu einer Erklärung an, doch sie ging in einem Schwall übelster Schimpfwörter unter.
„Seien Sie lieber froh, dass Ihrem Mann nichts passiert ist“, sagte Klaus.
Die Frau warf ihm einen giftigen Blick zu. „Ihr fangtemol lieber Terroriste, statt Verkehrssünder zu jage unn in euerm Streifewage dumm in der Gejend rumzugondle.“
„Madda“, sagte der Unfallfahrer. „Des kannste doch net ...“
„Du sei besser ganz still!“ Marthas Augen wanderten von ihrem Mann zu Klaus und dann zu Michael Stamm, der hinter dem
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