Die Wassermuehle
genug. Sie stellte den Staubsauger weg und zitierte ihre Familie ins Wohnzimmer.
„Was ist denn los, Mama?“, fragte Sascha erstaunt.
„Ich bin mit Axel verabredet“, maulte Dominique.
Hedi zeigte aufs Sofa. „Setzt euch.“
„Willst du eine Rede halten, Schatz?“, fragte Klaus lächelnd.
„Es wird höchste Zeit, dass ich einige Dinge klarstelle!“, sagte Hedi. „Erstens: Ich finde die Impertinenz, mit der ihr das Geld einer Frau verplant, die euch zu ihren Lebzeiten nicht die Bohne interessiert hat, zum Kotzen. Zweitens: Ich denke nicht daran, den Stammsitz meiner Familie dem erstbesten Immobilienfuzzi in den Rachen zu werfen. Drittens: Mein Bedarf an Hausbesichtigungen ist gedeckt.“
„Impertiwas?“, fragte Dominique.
„Du willst doch nicht etwa andeuten, dass du die Mühle behalten möchtest?“, fragte Klaus fassungslos.
„Es würde die Sache erleichtern, wenn ihr endlich zur Kenntnis nehmen würdet, dass ich Juliette beerbt habe, und nicht ihr!“
„Aber Mama ...“, begann Sascha.
„Je schneller wir die Bruchbude los sind, desto besser“, fiel ihm Klaus ins Wort.
„Interessant. Juliettes Haus nennst du also eine Bruchbude. Gleichzeitig schleppst du mich mit ernsten Kaufabsichten durch eine Ruinensammlung im Rhein-Main-Gebiet, deren einzelne Objekte sich von der Eichmühle nur dadurch unterscheiden, dass man auf den Renovierungsetat noch eine viertel Million als Kaufpreis draufschlagen muss.“
„Wir haben jahrelang für ein eigenes Haus gespart. Jetzt hätten wir die Chance, und du stellst dich quer. Ich verstehe dich nicht.“
„Vielleicht wäre es an der Zeit, dass du nach neunzehn Jahren und dreihundertsiebenundsechzig Tagen Ehe langsam damit anfängst.“
Dominique und Sascha grinsten. Klaus bekam einen roten Kopf. „Oh! Ich hab doch tatsächlich unseren Hochzeitstag vergessen.“
„Wie jedes Jahr“, stellte Hedi fest.
„Tut mir leid.“
„Ein für allemal: Ich habe kein Interesse an großzügig bemessenen Anwesen mit uneinsehbaren Traumgärten, die man mit einem Zahnstocher umgraben kann. Und jetzt muss ich zum Dienst. Tschüss.“
Bevor noch jemand etwas sagen konnte, verließ Hedi den Raum.
Vom Krankenhaus aus rief sie Vivienne an.
„Ich finde auch, dass du den Familiensitz nicht einfach Hals über Kopf verkaufen solltest“, stimmte sie ihr zu.
„Schön, dass wenigstens ein Mensch auf dieser Erde meine Meinung teilt.“
„Was hast du denn jetzt vor?“
„Wenn ich das wüsste.“ Hedi seufzte. „Eigentlich hat Klaus ja recht. Juliettes Erbschaft ist wie ein Lottogewinn für uns.“
„Gibst du schon wieder nach?“
„Was soll ich mit einer Wassermühle im tiefsten Odenwald anfangen?“
„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich mir deine Wassermühle gerne mal ansehen“, sagte Vivienne. „Morgen Mittag hätte ich Zeit.“
Hedi überlegte. Sie hatte nach Juliettes Beerdigung sämtliche Schlüssel Elisabeth gegeben und ihr schlechtes Gewissen beruhigt, indem sie sich einredete, nicht über ein Haus verfügen zu können, das ihr nicht gehörte. Jetzt gehörte es ihr, und es wäre unfair, Elisabeths Gutmütigkeit länger auszunutzen. Sie musste eine Entscheidung treffen. „Wenn’s dir recht ist, hole ich dich um eins an deiner Wohnung ab.“
„Ich freue mich“, sagte Vivienne.
„Ja. Bis morgen.“ Hedi steckte das Telefon weg und goss sich einen Kaffee ein. Die Vorstellung, Juliettes Zuhause an wildfremde Menschen verkaufen zu müssen, machte sie krank. Andererseits konnte sie die alte Mühle unmöglich behalten! Wann und wie sollte sie sich darum kümmern? Aber vielleicht hatte ja Elisabeth Stöckers Sohn Interesse? Wenn es für einen Kauf nicht reichte, könnte sie ihm das Haus doch auch vermieten! Hedi dachte an die rote Decke auf dem Sofa und den hellen Fleck über dem Kamin, und ihr stiegen Tränen in die Augen. Was wirst du mit meiner Mühle machen, Hedilein?
Ihr Piepser ging, und sie fuhr erschrocken zusammen. Sie wischte sich die Tränen ab und trank den Kaffee aus.
Es war der Beginn einer anstrengenden Nacht, die ihr keine Zeit für weitere Gedanken ließ. Als sie am nächsten Morgen kurz vor acht nach Hause kam, waren Klaus und die Kinder schon fort. Sie bediente sich an den Resten vom Frühstückstisch und fiel todmüde ins Bett.
Eine Horde heulender Indianer tanzte um den Marterpfahl, an dem sie festgebunden war. Keinen Finger konnte sie rühren. Die Trommeln machten sie wahnsinnig, und die Sonne brannte auf ihrem Gesicht. Ein
Weitere Kostenlose Bücher