Die Wassermuehle
Beisetzungsmodalitäten und den Nachkaffee zu kümmern. Übelgenommen hat Ihnen Ihre Flucht jedenfalls niemand, falls Sie das befürchten.“
„Ich hätte mir mehr Zeit für sie nehmen müssen.“
Elisabeth legte ihre Hand auf Hedis Arm. „Juliette war stolz auf Sie. Wissen Sie, was sie gesagt hat? Hedi ist wie eine Tochter für mich. Und Töchter muss man zu eigenständigen Menschen erziehen, damit man sie irgendwann guten Gewissens in die Welt hinauslassen kann. Sie litt sehr darunter, dass sie ihrer Schwester nicht hatte helfen können.“
„Sie haben über meine Mutter gesprochen?“, fragte Hedi überrascht.
„Wir haben über vieles gesprochen“, sagte Elisabeth leise. „Ihre Tante war ein wunderbarer Mensch. Sie fehlt mir.“
Hedi schämte sich. Es war albern, jemanden abzulehnen, nur weil er einen Spitznamen hatte, der in einem Kitschroman vorkam. „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Frau Stöcker. Ich war nicht besonders freundlich zu Ihnen.“
„Vergessen wir’s, ja?“
„Warum wollten Sie wissen, ob ich die Mühle verkaufe? Würden Sie sie denn kaufen?“
Elisabeth schüttelte den Kopf. „Ich glaube, wir sprachen bei einem Ihrer Besuche davon: Mein Sohn Uwe hat Interesse, die alte Gärtnerei wiederaufzubauen.“
Hedi lächelte. „Juliette war sehr daran gelegen, ja. Ich bin sicher, wir werden eine Lösung finden.“
Die Tür des Notariatsbüros öffnete sich.
„Darf ich Sie hereinbitten, meine Damen?“, sagte der Testamentsvollstrecker, ein hagerer Mann unbestimmbaren Alters. Er reichte Hedi und Elisabeth seine schweißfeuchte Hand, sprach ihnen sein Beileid aus und deutete auf zwei Stühle vor seinem penibel aufgeräumten Schreibtisch.
„Wenn Sie bitte Platz nehmen wollen?“ Er setzte sich ebenfalls und strich über sein spärliches Haar, das er mit Pomade akkurat über seinen kantigen Schädel gelegt hatte. „Ich muss Sie zunächst bitten, sich zu legitimieren.“
Hedi holte ihren Personalausweis aus dem Portemonnaie. Elisabeth zeigte ihren Reisepass vor.
„Frau Hedwig Ernestine Winterfeldt, geborene Klammbiel, die Nichte der Verstorbenen, ja.“ Er gab Hedi den Ausweis zurück. „Und Frau Elisabeth Charlotta Carmina Stöcker, geborene von Rosen.“
Hedi warf Elisabeth einen ungläubigen Blick zu.
Der Notar schlug eine Mappe aus Schweinsleder auf und entnahm ihr einen zusammengefalteten Briefbogen. Er sah Hedi an. „Ihre Tante hat verfügt, dass zwischen ihrem Tod und der Testamentseröffnung dreißig Tage liegen sollen. Ich muss Sie fragen, ob Sie die Erbschaft annehmen.“
„Ja.“
Seine Augen wanderten zu Elisabeth. „Und Sie?“
„Also, ich weiß nicht recht. Ich bin doch gar nicht verwandt mit der Toten.“
„Sie sind in dem von mir am fünfundzwanzigsten Februar dieses Jahres notariell beglaubigten Testament der am fünften April dieses Jahres verstorbenen, ledig gewesenen Juliette Viktoria Klammbiel neben der hier anwesenden Nichte der Verstorbenen als Erbberechtigte bestimmt, und ich frage Sie, ob Sie das Ihnen zugedachte Erbe annehmen wollen.“
Elisabeth nickte.
Der Notar faltete den Briefbogen auseinander. Hedi erkannte Juliettes Handschrift.
„Mein liebes Hedilein, liebe Elli“ , las er mit monotoner Stimme vor. Es klang, als zitierte er aus einer Gebrauchsanweisung für Küchengeräte. „Wenn Ihr diese Zeilen zu hören bekommt, bin ich schon ein Weilchen unter der Erde, und ich hoffe, Ihr seid inzwischen nicht mehr allzu traurig darüber. Alte Leute sterben nun mal, und ich möchte es dabei mit Voltaire halten: Vom Leben muss man wie vom Mahle fortspazieren, dem Wirte danken und sein Bündel schnüren.“
Elisabeth Stöckers Augen füllten sich mit Tränen. Hedi kämpfte gegen den Kloß in ihrem Hals.
Der Notar strich sich über seine Haare. „Liebste Elli, Du warst meine beste Freundin, auch wenn ich fast deine Großmutter hätte sein können. Als kleines Dankeschön für Deine mir aufrichtig erwiesene Freundschaft und Hilfe sollst Du fünfundzwanzigtausend Euro von meinem Sparguthaben bekommen. Kauf Dir verflixt noch mal endlich den Grimm davon!“
Elisabeth zog ein Taschentuch aus ihrem Kleid und wischte sich die Augen.
„Und nun zu Dir, Hedilein. Als letztem lebenden Mitglied der Familie vermache ich Dir die Eichmühle und alles, was dazugehört. Ich würde mich freuen, wenn Du das Haus, in dem Generationen von Klammbiels gelebt haben und gestorben sind, im Familienbesitz halten könntest. Vielleicht helfen Dir meine
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