Die Wassermuehle
„Unsere Ehe bedeutet dir gar nichts mehr?“
„Dasselbe könnte ich dich fragen.“ Hedi nahm Klaus den Koffer ab und legte ihre Pullover hinein. Schweigend sah er zu, wie sie T-Shirts, Jeans, Unterwäsche und Socken einpackte, den Koffer schloss und eine Reisetasche füllte. Sie brachte das Gepäck in den Flur und holte ihre Sachen aus dem Bad. Mit einem Karton ging sie von Zimmer zu Zimmer und sammelte Bücher und Nippes ein.
„Nett, dass du die Möbel dalässt“, sagte Klaus.
„Ruf mich an, wenn ihr kommt.“
„Ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass ich nicht in diese Bruchbude einziehe. Und die Kinder auch nicht!“
„Hilfst du mir, die Sachen runterzutragen?“
Klaus nahm den Koffer und die Reisetasche und brachte sie zurück ins Schlafzimmer. Hedi lief ihm hinterher. „Was fällt dir ein?“
„Du bleibst hier.“
„Nein.“
Hedi griff nach dem Koffer. Klaus hielt ihre Hände fest. „Und wenn ich dich sehr darum bitte?“
„Ich habe dich auch sehr darum gebeten, mitzukommen.“
„Es geht nicht! Warum begreifst du das nicht?“
„Du willst nicht. Das ist alles. Und jetzt lass mich gefälligst los!“
Klaus gab ihre Hände frei und verließ wortlos das Zimmer. Hedi schleppte das Gepäck wieder in den Flur. Als sie zum vierten Mal in den dritten Stock heraufkam, um den letzten Karton und die Autoschlüssel zu holen, studierte Klaus immer noch die erste Seite der Offenbach-Post.
„Grüß die Kinder von mir, wenn sie aus der Schule kommen.“
„Ja.“
„Ich fahr dann mal.“
„Mhm.“
„Tschüss, Klaus.“
„Tschüss, Hedi.“
In ihrem Hals wurde es sehr eng.
Vivienne erwartete sie ungeduldig im Wohnzimmer. Um sie herum standen Dutzende von Ölgemälden. Das Biedermeiersofa und der Couchtisch waren mit Laken abgedeckt, die Palmen mit Schnüren zusammengebunden.
„Wo bleibst du denn so lange?“
Hedi zeigte auf die Bilder. „Die Schinken da passen unmöglich alle in mein Auto.“
„Was fällt dir ein, meine Arbeiten Schinken zu nennen!“
„Sie passen nicht alle rein.“
„Dann fahren wir eben zweimal.“
„Weißt du, was nachmittags auf der Autobahn los ist?“
„Möbelpacker haben keinen Sinn für Kunst.“
„Ich bin beruhigt, dass du ihnen wenigstens deine Zimmerpflanzen anvertraust.“
„Nur die großen.“
Gemeinsam verstauten sie die Hälfte der Bilder, eine Kiste mit Unterlagen, zwei Schwertfarne und drei Koffer in Hedis Bus.
Der Himmel hatte sich zugezogen. Viviennes Satinrock flatterte im Wind. Umständlich kletterte sie auf den Beifahrersitz. Im Inneren des VW-Busses breitete sich eine Wolke Chanel No. 5 aus.
Beim dritten Startversuch sprang der Wagen an. Hedi schwitzte; sie wischte sich ihre Hände an den Jeans ab. Als sie aus der Stadt fuhren, wurde der Himmel so düster wie Hedis Stimmung. Sie schafften es gerade noch rechtzeitig, das letzte Gemälde in die Mühle zu tragen, bevor es anfing zu regnen. Hedi hatte Kopfschmerzen und nicht die geringste Lust, wegen der übrigen Bilder den ganzen Weg noch einmal zu machen. Ihren Vorschlag, allein zu fahren, lehnte Vivienne kategorisch ab. „Ich brauche dich zum Tragen.“
Seufzend gab Hedi nach. Der Wind wurde stärker; auf der Autobahn kämpften die abgenutzten Scheibenwischer mehr schlecht als recht gegen den strömenden Regen an, aber kurz vor Frankfurt klarte es wieder auf. Die restlichen Bilder, Koffer und Pflanzen hatten sie rasch verladen. Aus der Stadt kamen sie schnell heraus. Auf der Autobahn in Richtung Darmstadt hatte sich inzwischen ein langer Stau gebildet. Hedi fluchte und stellte den Motor ab. Vivienne sah aus dem Fenster. Eine halbe Stunde später kreiste ein Polizeihubschrauber über ihnen und forderte sie über Lautsprecher dazu auf, eine Gasse für die Rettungsfahrzeuge freizumachen. Auf den Fahrspuren rechts und links brach Hektik aus. Der VW-Bus gab ein Knarzen von sich und blieb stehen. Hedi schlug aufs Lenkrad. „Scheiße!“
Ein Streifenwagen bahnte sich mühsam den Weg durch die entstandene Gasse. Hedis Bus blockierte die Weiterfahrt. Ein Polizist stieg aus. Er sah nicht sehr freundlich aus. Hedi kurbelte das Seitenfenster herunter. „Tut mir leid, aber er springt nicht mehr an.“
Der Beamte musterte das Auto, dann die Ladung. Viviennes Bilder stapelten sich bis unters Dach. Hinter Hedis Sitz breitete eine Yuccapalme ihre Blätter aus.
„Sie sollten das Ding in Ihren Vorgarten stellen und mit Geranien bepflanzen, anstatt damit die Autobahn zu
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