Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
konnte.
»Erst muss der Auftrag von Tam abgeschlossen sein, und das ist frühestens der Fall, wenn ich wieder in meinem eigenen Bett liege.«
»Apropos Tam, ruf ihn bitte an, ja? Er möchte sich persönlich bei dir bedanken.«
»Er hat mir schon eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen.«
»Ava, bitte. Der Mann will einfach nur Danke sagen. Du hast sein Unternehmen und das Kapital seiner Familie gerettet. Lass ihn seine Anerkennung ausdrücken.«
Sie erreichte Tam in seiner Wohnung. »Hier spricht Ava. Ich habe Ihre Nachricht bekommen und wollte Ihnen nur mitteilen, wie froh ich bin, dass alles geklappt hat.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte lange Schweigen. »Andrew, sind Sie da?«
»Verzeihen Sie, ich stehe wegen gestern immer noch unter Schock. Wenige Stunden von meinem Ruin entfernt, tauchte das Geld plötzlich wieder auf. Ich wusste nicht mal, dass es unterwegs war, Sie haben ja gar nicht Bescheid gesagt.«
Wollte er sich etwa beschweren? , fragte sie sich. »Ich war nicht in der Lage, es sofort zu erzählen. Das Einzige, was ich tun konnte, war, Onkel davon zu unterrichten, dass das Geld eventuell bald eintrifft.«
»Er hat mir nichts davon gesagt.«
»Was wollen Sie von mir hören?«, fragte sie. »Sie haben Ihr Geld – was wollen Sie denn noch?«
»Nichts. Es tut mir leid, ich wollte nicht undankbar klingen.«
»In ein, zwei Tagen schicke ich Ihnen unsere Bankverbindung. Dann können Sie uns die Provision überweisen.«
»Ja, ja«, murmelte er.
Wieder empfand sie einen Anflug von Gereiztheit. Glaubten die Leute, sie und Onkel seien ihre einzige Chance, ihr Geld zurückzuholen, waren sie nur allzu bereit, den Preis dafür zu zahlen. Hatten sie das Geld wieder, klammerten sie sich an jeden Dollar. »Diesmal haben wir nur die Hälfte des normalen Preises verlangt. Onkel hat aus Respekt vor Ihrem Onkel auf seinen Anteil verzichtet.«
»Wir bezahlen ja, und Onkels Anteil auch, wenn Sie wollen«, beeilte sich Tam zu sagen.
Sie wusste, dass sie überreagierte, die nervliche Anspannung war noch nicht vorüber; sie musste nach Hause. »Nein, nur meinen Anteil, aber ich möchte Ihnen noch sagen, was Onkel darüber hinaus getan hat. An einem Punkt hat er 300 000 Dollar vorgestreckt, ohne Garantie, das Geld je wiederzusehen«, erklärte sie in dem Wissen, dass Tam es seinem Onkel weitererzählen würde, der nun für immer in Onkels Schuld stehen würde.
»Sie sind zusammen aus China geflohen«, sagte Andrew Tam, als erklärte das alles.
Und vielleicht tut es das ja, dachte Ava.
43
E s war eine triste Nacht in Toronto. Beim Landeanflug auf den Pearson Airport schaute Ava aus dem Fenster und sah ein Meer aus Weiß, hier und da von den schwarzen Streifen des Highways durchzogen. Bei der Landung waren die Fenster nass vom Schnee; die Lichter beleuchteten fallende Flocken.
Sie passierte problemlos die Kontrollen der Zoll- und Einwanderungsbehörde, zückte kurz ihren Hongkonger Ausweis und mietete eine Limousine mit Fahrer. Die Highways waren voller Schneematsch, und der Chauffeur fuhr vorsichtig und schwieg, weil er sich auf die Straße konzentrieren musste. Er sprach nur einmal, als er ein Schlagloch erwischte. »Tut mir leid«, sagte er. Sie dachte an Guyana und lächelte. »Kein Problem«, erwiderte sie.
Das Mobiltelefon von Jack Robbins hatte sie ausgeschaltet, als sie Road Town am Morgen verlassen hatte. Sie hatte erwogen, Captain Robbins von Miami aus anzurufen, verwarf den Gedanken aber rasch wieder als zu riskant. Sie musste erst zu Hause sein, so weit weg wie möglich von seinem Einflussbereich. Als sie jetzt in der Limousine aus südlicher Richtung den Parkway entlangfuhr, schaltete sie es wieder ein und entdeckte, dass sie eine Flut von Nachrichten bekommen hatte. Alle bis auf eine stammten von Captain Robbins.
Sie nahm ihr Notizbuch aus der Tasche und drückte die Rückruftaste von Robbins’ Handy. »Wo sind Sie?«, brüllte Captain Robbins.
»Ich sitze in einem Wagen … in einem Schneesturm, um genau zu sein.«
Er schwieg kurz. »Das glaube ich Ihnen nicht.«
»Ich bin in Toronto, sitze in einer Limousine und fahre vom Flughafen nach Hause. Ich schätze, ich befinde mich etwa zehn Kilometer östlich der Olive Street.«
Sie hörte Eiswürfel klimpern. Er genehmigte sich einen Drink, sein allabendliches Ritual. Ob er auf die Olive-Street-Anspielung reagiert? Als er schwieg, las sie ihm aus dem Notizbuch vor.
»Ellie und Lizzie leben in Appartement 816 in der Olive
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