Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Bruders an.«
»Ich habe drei.«
»Es geht um Jackson.«
»Er ist einer davon.«
Frank Seto würde bestenfalls widerwillig Auskunft geben, das war Ava nun klar. »Ich bin auf der Suche nach ihm«, sagte sie.
»Weshalb?«
»Einer meiner Kunden hat mit Jackson Geschäfte gemacht. Es gibt noch ein paar ungelöste Probleme, und Jackson ist nicht erreichbar. Der Kunde hat mich beauftragt, ihm zu helfen.«
»Was bringt Sie auf die Idee, dass ich Interesse an Jacksons Geschäften habe?«
»Das tue ich gar nicht.«
»Woher soll ich Ihrer Meinung nach wissen, wo er ist?«
»Immerhin ist er Ihr Bruder.«
»Nur dem Namen nach«, erwiderte er scharf. »Wir haben nichts gemeinsam. Er macht unserer Familie seit Jahren nichts als Ärger.«
»Trotzdem haben Sie ihn Henry Cheng vorgestellt?«
»Verdammt, das war reiner Zufall. Ich saß gerade mit Henry im Restaurant, als Jackson auftauchte. Glauben Sie mir, es gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, Jackson mit meinen Freunden oder Geschäftspartnern zusammenzubringen.«
»Hat er schon welche übers Ohr gehauen?«
»Früher oder später haut er jeden übers Ohr. Er kann nicht anders.«
»Das tut mir leid«, sagte sie. »Das muss für jemanden in Ihrer Position sehr schwierig sein.« Er schwieg, und ihr wurde klar, dass die Bemerkung ein Fehler gewesen war. »Nun, Frank, ich wäre Ihnen jedenfalls dankbar, wenn Sie mir dabei helfen könnten, ihn zu finden.«
»Haben Sie nicht zugehört? Ich weiß nicht, wo er ist oder wie man ihn erreicht!«
»Was ist mit Ihren anderen Brüdern?«
»Die auch nicht, ebenso wenig wie meine Mutter, also verschonen Sie meine Familie mit Ihren Ermittlungen.«
»Ich habe seine Adresse in Seattle, aber die Wohnung ist leer«, sagte sie.
»Die letzte Adresse, die ich von ihm hatte, war in Boston, nicht in Seattle.«
»Wie viele Jahre ist das her?«
»Mindestens fünf.«
»Ich habe zudem einen Hongkonger Wohnsitz, im Wanchai-Distrikt. Doch da ist er ebenfalls ausgezogen.«
»Wir sind in Wanchai geboren und aufgewachsen. Wir sind alle von dort geflohen, nur er kehrt immer wieder zurück. Anscheinend fühlt er sich im Dreck wohl. Allerdings wohnt er nur in Hotels.«
»In einem besonderen?«
»Nein. Er steigt prinzipiell nur in Zwei- oder Dreisternehäusern ab, wer weiß, wie viele es in Wanchai gibt.«
»Haben Sie seine Telefonnummer?«
»Nur diese«, sagte er und gab ihr die Nummer, unter der sie Jackson schon seit Tagen zu erreichen versuchte.
»Tja, sieht aus, als wäre ich wieder in einer Sackgasse gelandet.«
»Daran kann ich nichts ändern.«
»Natürlich nicht. Trotzdem, vielen Dank, dass Sie mit mir gesprochen haben.«
»Vergessen Sie nicht, es Ihrem Vater gegenüber zu erwähnen«, insistierte er.
»Sind Sie immer so unhöflich?«, gab sie zurück.
»Mein Bruder bringt das Schlimmste in mir zum Vorschein«, versetzte er und legte auf.
Ava machte sich daran, die Akte über Antonelli gründlich zu studieren, ihm galt jetzt ihr Hauptinteresse. Sie hatte gehofft, ihn umgehen zu können, damit Seto nicht vorzeitig von ihren Nachforschungen erfuhr, doch jetzt blieb ihr keine andere Wahl.
Die Unterlagen waren ausgesprochen detailliert. Onkels thailändische Freunde hatten in der kurzen Zeit einen erstaunlich ausführlichen Bericht über Antonelli zusammengestellt, indem sie seine Bewegungen im Land mithilfe seines Passes nachverfolgt hatten. Offiziell war er vor sechs Jahren zum ersten Mal in Thailand aufgetaucht. Er war auf dem alten Bangkoker Flughafen angekommen, hatte sich ein sechsmonatiges Touristenvisum besorgt und sich nach Süd-Thailand begeben, wo er im Novotel einer Stadt namens Hat Yai in der Songkhla-Provinz nahe der malaysischen Grenze abgestiegen war. Ein halbes Jahr später ließ er das Visum in Malaysia verlängern. Einem Aktenvermerk zufolge war Antonelli vermutlich aus der unweit der Grenze liegenden Stadt Hat Yai dorthin gefahren und anschließend nach Thailand zurückgekehrt. Das war völlig legal. Während der nächsten anderthalb Jahre erneuerte er das Visum noch drei Mal, indem er zurück nach Atlanta flog. Die Abstecher in die USA dauerten nie länger als eine Woche.
Das Novotel führte seinen Pass zwei Jahre in der Kartei. Anscheinend hatte er geschäftlich mit einer Fischverarbeitungs-Fabrik in der Gegend zu tun, aber als radikalislamistische Terroristen in Süd-Thailand die Stadt ins Visier nahmen – die mit knapp einer Million Einwohnern die größte der Umgebung war – und Hotels und
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