Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Einkaufszentren in die Luft jagten, zog Antonelli sich in den Norden von Bangkok zurück. In den ersten drei Monaten wohnte er in einem Aparthotel, danach zog er drei Blocks weiter ins Water Hotel, wo er bis heute wohnte.
Nach fünf Monaten in Bangkok tauchte sein Name in zwei offiziellen Dokumenten auf. Das erste war ein durch Seafood Partners ausgestelltes Arbeitsvisum. Im zweiten wurde er als Minderheitsaktionär der Firma aufgeführt; der Mehrheitsaktionär war ein Thailänder, wie gesetzlich vorgeschrieben. Der Thailänder war zudem Inhaber eines Shrimps- und Fischverarbeitungs-Unternehmens, Siam Union & Trading. Vermutlich handelte es sich um einen Strohmann, mit dessen Hilfe Antonelli und Seto in Thailand Geschäfte machen konnten. In den nächsten zwei Jahren verschiffte Seafood Partners diverse Container mit Shrimps in die Vereinigten Staaten und wurde in einen Rechtsstreit nach dem anderen verwickelt, bei denen es um Mindergewicht, Konservierungsmittel, gemischte Güteklassen und Beifügung unzulässiger Eismengen ging.
Die Firma importierte auch, kaufte Zackenbarsche und Red Snapper in Indien, Indonesien und auf den Philippinen, um sie zu verarbeiten und in die Vereinigten Staaten zu exportieren. Seafood Partners beglich zwar anfangs die Rechnungen anstandslos, stellte jedoch irgendwann die Zahlungen ein und schob als Begründung vermeintliche Qualitätsmängel vor. Das führt zu einer Flut von Anzeigen, die Seafood Partners anfocht, im Vertrauen darauf, dass die Zeit, die Kosten und der beträchtliche Aufwand eines grenzübergreifenden Gerichtsverfahrens die Exporteure abschrecken würden. Und sie sollten recht behalten: Eine Anzeige nach der anderen wurde zurückgezogen.
Doch Thailands Fischereiministerium ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Die zahlreichen Qualitätsmängel der Shrimps-Exporte hatten Aufmerksamkeit erregt. Nach oberflächlicher Prüfung wurde allerdings nur dem Verarbeitungsunternehmen Siam Union & Trading die Lizenz entzogen; Seafood Partners – obwohl eingetragener Exporteur – kam ungeschoren davon.
Als Nächstes flog Antonelli für sechs Monate nach Atlanta. Nachdem er das Geschäft mit Major Supermarkets an Land gezogen hatte, kehrte er nach Thailand zurück. Wie hatte Major Supermarkets ihm den Auftrag erteilen können? War die Supermarktkette ihrer Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen?
Sie las weiter. Antonelli hatte ein thailändisches Konto, auf dem sich selten mehr als hunderttausend Baht befanden, was knapp dreitausend Dollar entsprach. Seine Hotelrechnung beglich er mit der Visakarte einer US -amerikanischen Bank. Der Wagen mit Chauffeur war ihm zunächst von der Siam Union zur Verfügung gestellt worden; nachdem diese von der Bildfläche verschwunden war, kam er mit derselben Visakarte dafür auf.
Seto wurde in der Akte überhaupt nicht erwähnt, weder im Zusammenhang mit der Gründung von Seafood Partners noch mit den Gerichtsverfahren. Ava wünschte, sie hätte ihn ebenfalls routinemäßig überprüfen lassen. Dann wüsste sie jetzt über sein Kommen und Gehen in Thailand und über die Hotels Bescheid, in denen er abstieg.
Ihr Blick fiel auf Antonellis Handynummer, die eine thailändische Vorwahl hatte. Sie nahm sich vor, Arthon am nächsten Tag zu fragen, ob es möglich war, all seine Anrufe zu überprüfen.
Ganz hinten in der Akte fand sie Kopien der Anzeigen gegen Antonelli wegen Körperverletzung. Alle waren nach kurzer Zeit zurückgezogen worden. Sie blätterte darin herum, gab aber kurz vor Schluss auf: Sie lasen sich wie Sadomaso-Pornos. Wie seine Frau in Atlanta wohl reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass er mit Vorliebe wehrlose Frauen und Jungen verprügelte? Vielleicht wusste sie es schon.
Laut Radiowecker war es kurz vor Mitternacht. Sie versuchte sich zu überzeugen, müde zu sein, und legte sich unter die Bettdecke. Eine Viertelstunde später stand sie wieder auf, zog eine Leinenhose und eine frische Brooks-Brothers-Bluse an und fuhr hinunter ins Spasso. Tagsüber und am frühen Abend war es das italienische Restaurant des Hyatt. Nach neun verwandelte es sich in einen Nachtclub. Die Tische wurden abgeräumt, eine Bühne aufgebaut, die Besetzung der Bar aufgestockt und der Eingang von Türstehern bewacht. Es war einer der beliebtesten und exklusivsten Clubs in Bangkok, in dem es bis mindestens zwei Uhr morgens hoch hergehen würde.
Der Club war voll, mit der üblichen Mischung aus jungen, smarten Farang – die hier wohnten oder Urlaub
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