Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
alles zehn Minuten, zumindest wenn man den Taxifahrern glaubt, es sei denn, es herrscht viel Verkehr«, sagte Ava und lächelte.
»Danke. Ich muss morgen früh arbeiten, ich gehe wohl besser schlafen«, erwiderte Deborah.
»Die Mädchen laufen Ihnen nicht weg.«
»Darf ich Ihnen einen Drink spendieren, bevor ich gehe?«
Ava schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube, allmählich bin ich müde genug, um ins Bett zu gehen. Und wenn ich weiter zuhören muss, wie die philippinische Coverband Shania Twain verhunzt, drehe ich durch.«
11
A va nahm ein paar Melatonin-Tabletten, bevor sie ins Bett ging, und schlief bis sechs Uhr morgens. Da sie Arthon noch nicht anrufen wollte, versuchte sie es bei ihrer Mutter, die um diese Zeit zu Hause sein musste, denn für Abendessen oder Mah-Jong war es noch zu früh. Sie erzählte Jennie von dem Dim-Sum-Essen mit ihrem Vater, und ihre Mutter reagierte wie immer übertrieben. Nichts begeisterte sie mehr, als wenn ihre Töchter Kontakt mit ihrem Vater hatten. Sie tat zwar, als freue sie sich für ihre Töchter, doch Ava war klar, dass es ihr ebenso sehr darum ging, ihren Status als zweite Frau zu festigen.
Ava stellte den Wasserkocher an, um sich eine Tasse Instantkaffee zu machen. Sie schaltete BBC World ein, verlor aber nach fünf Minuten das Interesse, zog ihre Joggingsachen an und band sich das Haar mit einem Gummiband zurück. In Bangkok gab es zwei Möglichkeiten, laufen zu gehen: Das hoteleigene Fitnessstudio stand für Schutz, Sicherheit und saubere Luft, während draußen zu joggen bedeutete, sich mit dem Smog, der drückenden Schwüle und den Menschenmassen herumzuschlagen. Allerdings lag das Hyatt nur einen Kilometer vom Lumpini Park entfernt, wo sie mit Vorliebe joggen ging. Wenn sie im Bangkoker Mandarin Hotel abstieg, nahm sie sich für die Hin- und Rückfahrt manchmal sogar ein Taxi. Sie entschied sich für den Park.
Um halb sieben war die Sonne schon aufgegangen, doch die Hitze war noch nicht allzu drückend. Auf den Straßen herrschte bereits reger Verkehr, aber noch nicht die mittägliche Dichte. Sie verließ das Hotel, bog links ab und wich auf dem Weg zum Park Hunden, Schlaglöchern und Unebenheiten im Gehsteig aus.
In einer Stadt, in der es praktisch keine Grünflächen und nur wenige Naherholungsgebiete gab, zog der Park alle möglichen Athleten an. Tausende von Menschen tummelten sich dort, fast ausschließlich Thais. Ava schloss sich einer Gruppe an, die die drei Kilometer lange Runde um den Park lief, auf der praktischerweise alle hundert Meter eine weiße Markierung angebracht war. Die Gruppe bestand aus Läufern jeglichen Alters und beiderlei Geschlechts. Die Einzigen, die hervorstachen, waren die Geschäftsmänner, die ihre Hemden und Jacketts vor sich her trugen.
In der Mitte des Parks herrschte ebenso rege Betriebsamkeit wie auf der Bahn ringsherum. Es gab mehrere Gruppen, die still Tai Chi praktizierten, alte Männer und Frauen, die mit präzisen, langsamen Bewegungen Schwerter und Fächer schwangen, Vogelliebhaber mit ihren Käfigen, Leute, die Badminton, Tennis und eine thailändische Version von Bowling oder Boccia spielten. Das bunte Treiben lenkte Ava von der Anstrengung ab. Auf dem Laufband schaffte sie meist nur fünf Kilometer; im Lumpini Park machte sie sich erst nach drei vollen Runden auf den Rückweg zum Hotel.
Nach einer Dusche zog sie ihr Businessoutfit an und gab die getragenen Hosen und Blusen mit Bitte um Lieferung am selben Tag in die Reinigung. Mit der Akte über Antonelli und ihren Laptop setzte sie sich in die Lobby und ging die Unterlagen noch einmal durch. Wie sollte sie sich ihm nähern, wie ihn dazu bringen, ihr Setos Aufenthaltsort zu verraten? Sie hatte Antonellis Handynummer. Wenn Arthon seine Anrufe überwachen konnte, wäre das eine enorme Zeitersparnis, also rief sie ihn an.
»Das wäre ziemlich kompliziert«, sagte er. Im Hintergrund war Straßenlärm zu hören. » SIM -Karten kann man an jeder Straßenecke kriegen, und hier verkaufen zig Firmen Prepaid-Karten, anders als in Großbritannien oder Nordamerika, wo es nur eine Handvoll Anbieter gibt. Es könnte eine Weile dauern, bis ich seinen Anbieter ausfindig gemacht habe, und wenn wir Glück haben, wurde er von uns schon mal infiltriert.«
»Bitte versuchen Sie es.«
»Was sind denn Ihre Pläne für heute?«, fragte er.
»Ich gehe gleich zum Water Hotel. Mal schauen, ob ich Antonelli in ein Gespräch verwickeln kann.«
»Und wie wollen Sie das
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