Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
nächsten halben Stunde erledigt«, sagte er, ohne zu zögern.
»Bitte lass die Überweisungsbestätigung scannen, und schick sie mir per E-Mail.«
»Wird ebenfalls erledigt.«
Sie wusste, wie schwer ihm das fiel. »Onkel, es klappt ganz bestimmt«, versicherte sie ihm.
»Wie viel ist denn für uns dabei drin?«, fragte er, womit er gleichzeitig sein Vertrauen in sie bekräftigte und sie wissen ließ, dass seine Entscheidung, 200 000 Dollar zu überweisen, nicht allein auf dem eventuellen Gewinn beruhte.
»Etwa zwei Millionen.«
»Wann ungefähr?«
»Derek braucht mindestens 24 Stunden, um auf den Virgin Islands anzukommen. Ohne ihn geht nichts, also lohnt es sich für mich nicht, vor übermorgen aufzubrechen. Sie wollen, dass ich abends ankomme, deshalb kann ich wohl frühestens in drei Tagen zur Bank gehen.«
»Melde dich bei mir.«
»Jeden Tag«, sagte sie.
In der nächsten halben Stunde las Ava ihre E-Mails, um zu schauen, was ihre Freunde und ihre Familie trieben. Anscheinend war das Wetter in Toronto schrecklich, und ihre Mutter drohte wie jeden Winter damit, zurück nach Hongkong zu ziehen. Während sie las, wie ihre Schwester ihre Mutter anflehte zu bleiben – Ava war erstaunt, dass Marian sie immer noch ernst nahm, schließlich hatte ihre Mutter dort überhaupt keine Freunde mehr, außerdem würde ihr Vater ihr den Unterhalt streichen, falls sie in der Stadt aufkreuzte –, kam eine E-Mail von Derek. Er hatte einen Flug über San Juan gebucht und würde am nächsten Tag um sechs Uhr in Tortola eintreffen – früher, als sie für möglich gehalten hatte. Weil alle Hotelsuiten ausgebucht schienen, hatte er ein Dreizimmer-Appartement mit Reinigungsservice genommen, das mindestens eine Woche angemietet werden musste.
Ein Appartement ist perfekt , dachte sie. Womöglich erwies sich Derek ja als ihr Glücksbringer. Wahrscheinlich war er direkt nach dem Anruf aus der Karaoke-Bar nach Hause gefahren. Anscheinend war sie das Einzige in seinem Leben, das er ernst nahm. Ava rief ihn an. Er schien nicht überrascht, so schnell von ihr zu hören.
»Das Appartement klingt großartig«, sagte sie.
»Es war nicht leicht zu finden.«
»Derek, vielleicht versuche ich auch, morgen Abend auf die British Virgin Islands zu fliegen. Ich würde es so arrangieren, dass ich gegen zehn ankomme. Dann hast du etwas Zeit, alles vorzubereiten.«
»Was brauchst du?«
»Ich komme mit einem Privatflugzeug. Am besten erwartest du mich mit einem Rollstuhl an der Landebahn.«
»Der lässt sich bestimmt auftreiben«, meinte er.
»Sie haben welche am Flughafen.«
»Aber wie komme ich damit zur Landebahn? Du weißt doch, wie die Sicherheitsvorschriften heutzutage sind.«
»Dafür ist gesorgt. Zoll und Einwanderungsbehörde kennen deinen Namen. Sie lassen dich zu mir durch. Ich weiß zwar die Details noch nicht, sie werden mir bald mitgeteilt, und wir bekommen einen Ansprechpartner, falls du in Schwierigkeiten gerätst.«
»Klingt einfach.«
»Tut es doch immer – kurz bevor alles den Bach runtergeht.«
»Ava, können wir diesen Leuten trauen?«
»Ich bezahle sie gut.«
»Trotzdem …«
»Sie glauben, dass ich den Triaden angehöre.«
»Soll das heißen, es stimmt nicht?«, scherzte er. Meist genügte schon die Möglichkeit, sie könnte Beziehungen zur chinesischen Mafia haben, und die Leute überlegten es sich zweimal, bevor sie sich auf ein Kräftemessen mit ihr einließen. Wenn Ava und Derek Gewalt angedroht wurde, verhinderte sie oft das Schlimmste, indem sie ihren Gegnern klarmachte: »Wir sind die Guten, mit unseren Freunden solltet ihr euch lieber nicht anlegen.«
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete sie. Dann fragte sie ihn, wann sein Flugzeug ging, und erklärte, sie würde ihn vorher anrufen, um ihm alle nötigen Informationen zu geben.
Danach war Captain Robbins an der Reihe. Sie benutzte seine Durchwahl. Es schadete nichts, wenn er erfuhr, dass sie ihn direkt erreichen konnte. Er nahm erst beim fünften Klingeln ab. Ava fragte sich, ob er Spielchen mit ihr trieb. »Ms. Lee, Sie haben meine Nummer, wie ich sehe. Ich nehme an, Sie haben herzerwärmende Neuigkeiten für mich.«
»Das Geld wird gerade überwiesen. In ein paar Stunden kann ich Ihnen eine Kopie der Bestätigung geben. Mit etwas Glück haben Sie das Geld morgen auf dem Konto«, sagte sie.
»Meinen Sie heute? Mitternacht ist schon lange vorbei.«
»Heute. Und ich möchte heute auch gerne das Land verlassen. Halten Sie das für
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