Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
in die Hose gemacht. Ich möchte, dass Sie ihn hierher bringen, waschen und umziehen. Einer der Jungs von unten passt auf.«
Patrick und die anderen Cops saßen mit angewiderten Gesichtern am Küchentisch. »Binden Sie ihm die Knöchel los«, befahl Ava. Sie hätte ihm auch die Handschellen abnehmen können, doch er sollte sich weiterhin hilflos fühlen, damit er keine Sekunde auf die Idee kam, er hätte die Chance zu fliehen.
»Patrick, die Frau bringt Seto zum Waschen und Umziehen nach oben. Begleiten Sie sie bitte?«
Er sah aus, als wolle er ihr widersprechen. Sie drehte ihm den Rücken zu und fragte Anna: »Haben Sie einen Pass?«
»Ja.«
»Wo ist er?«
»Oben in meiner Kommode.«
»Und der von Ng?«
»Den hat er in seinem Zimmer, keine Ahnung, wo.«
»Hören Sie gut zu. Wenn Sie mit Ihrem Freund fertig sind, möchte ich, dass Sie eine kleine Tasche für ihn packen. Mit Kulturbeutel, Unterwäsche zum Wechseln, Hemd und was auch immer er zum Schlafen trägt.«
Als alle zur Treppe gingen, sagte sie zu Patrick: »Sie müssen nicht mit ins Bad gehen.«
»Danke, Boss«, sagte er.
Sie fand Annas Pass in der obersten Kommodenschublade. Für Ngs brauchte sie etwas länger, denn er hatte ihn unter der Matratze versteckt. Sie trennte aus beiden die Seiten heraus, zerriss sie in winzige Fetzen und warf sie in den Papierkorb in Setos Arbeitszimmer. So schnell würden die beiden Guyana nicht verlassen.
Ava las ihre E-Mails. Derek hatte seine Reisedaten geschickt. Dann loggte sie sich in Setos E-Mail-Account ein, für den unwahrscheinlichen Fall, dass Bates schon geantwortet hatte. Nichts. Seto hatte etwa dreißig ungelesene E-Mails, darunter ihre, die sie ihm aus dem Phoenix geschickt hatte. Außerdem gab es zwei von George Antonelli: Sie enthielten Details über einen Tilapia-Handel, der den beiden angeboten worden war.
Seto stand mit erhobenen Armen in der Mitte des Schlafzimmers. Patrick hatte ihm eine der Handschellen abgenommen, damit Anna ihm ein sauberes Hemd überziehen konnte. Er war unglaublich mager, nur Haut und Knochen. Als sie fertig waren, legte ihm Patrick die Handschellen wieder an.
»Muss ich Sie auch wieder fesseln, Anna?«, fragte Ava.
»Nein … bitte nicht.«
»Wir lassen ihn hier bei Ihnen, Sie können ihm das Duct Tape von den Augen abziehen. Vor der Tür und unten sind Wachen postiert, also machen Sie keine Dummheiten. Ich will nicht, dass Sie zusätzlich verletzt werden, außerdem gibt es nichts, rein gar nichts, womit Sie ihm helfen können. Ist das klar?«
»Ja.«
»Bis morgen können die beiden hier bleiben«, sagte sie zu Patrick. »Würden Sie mich zum Hotel zurückfahren?«
Während Patrick seine Männer instruierte, holte sie ihr Notizbuch und die Tasche. Sie sah kurz in der Tasche nach, ob Setos Pässe, der Führerschein und der Hongkonger Ausweis noch da waren.
»Kann man aus dem, was Sie gerade gesagt haben, schließen, dass Sie uns morgen verlassen?«, fragte Patrick auf der Fahrt zum Phoenix Hotel.
»So ist der Plan.«
»Und Sie nehmen ihn mit?«
»Ja.«
»Brauchen Sie dort auch Hilfe?«
»Das hat Captain Robbins mich ebenfalls gefragt, aber die Antwort lautet Nein.«
»Schade. In meinem Job kommt man nicht viel herum.«
»Reisen wird überbewertet. Nach einer Weile hat man das Gefühl, alle Flugzeuge, Hotels und Restaurants sind austauschbar.«
»Hier war es bestimmt anders«, meinte er.
Sie lächelte. »›Anders‹ ist eine gute Umschreibung.«
Patricks Handy klingelte. Er schaute auf die Nummer. »Sie rufen vom Haus aus an.«
»Hoffentlich ist nichts passiert«, bemerkte sie und schalt sich innerlich, weil sie die Frau bei Seto hatte bleiben lassen. Sie hörte die Stimme des Cops, jedoch nicht, was er sagte. Düstere Vorahnungen von möglichen Katastrophen beschlichen sie.
»Nein, lass sie. Passiert ist passiert«, beendete Patrick das Gespräch.
»Ist alles in Ordnung?«
»Mein Kollege hat Geräusche aus dem Schlafzimmer gehört und die Tür aufgemacht. Die Frau war dabei, Seto einen zu blasen. Schätze, die Handschellen haben sie angemacht.«
30
Z urück auf ihrem Zimmer trank Ava den restlichen Wein. Dann vertiefte sie sich in Tai-Pan , in der Hoffnung, der hochtrabende Stil würde ihr beim Einschlafen helfen, doch es half nichts. Sie nickte erst gegen vier Uhr ein und wurde um halb acht von Maschinenlärm geweckt. Durch das Fenster sah sie eine Gruppe von Bauarbeitern, die Schlaglöcher vor dem Hotel ausbesserten. Wenn sie sich auch den Rest
Weitere Kostenlose Bücher