Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
von Georgetown vornehmen, ist das ein Job auf Lebenszeit, dachte sie.
Tom Benson saß im Café. Diesmal ging sie ihm nicht aus dem Weg. Vor ihr lag ein langer Tag, sie konnte jede Ablenkung gebrauchen.
»Ich reise heute Abend ab«, sagte sie, als sie sich setzte.
»Haben Sie ein Glück. Erfolg gehabt, hm?«
»Bisher ja.«
»Vielleicht kann ich auch bald ne Fliege machen. Gestern habe ich erfahren, dass meine Ersatzteile auf dem Weg sind. Falls das Schiff nicht absäuft und die Deppen vom Zoll sie ins Land lassen, kriege ich sie in ungefähr zwei Wochen. Nach einer weiteren Woche Installation hat dieses beschissene Höllenloch ratzfatz siebzig statt fünfzig Prozent der Energie, die es braucht.«
»Verblüffend.«
»Ja, nicht wahr, und das in der heutigen Zeit.«
»Es wäre schön, wenn Sie noch was wegen des Wassers unternehmen könnten.«
»Ich weiß. Daran habe ich mich in all der gottverdammten Zeit nicht gewöhnen können.«
»Ich kenne nur einen Ort, wo es ähnlich schlimm war, nämlich eine Stadt auf der philippinischen Insel Negros. Da habe ich in einem Hotel gewohnt, in dem das Wasser so schwefelhaltig war, dass es ständig nach faulen Eiern stank.«
»Da wars aber bestimmt nicht so gefährlich wie hier, oder?«
»Die Rezeption wurde jeden Abend um zehn dichtgemacht und die meisten Lichter ausgeschaltet. In der Lobby gabs einen Getränkeautomaten. Als ich mir nachts mal eine Cola holen wollte, lief mir ein Typ mit einer Schrotflinte über den Weg. Ein anderer patrouillierte zur Verstärkung mit einer Uzi vor dem Eingang. Sie waren sozusagen die Alarmanlage. Wenn man bedenkt, dass das Hotel ein Drecksloch war, was sagt einem das über die Sicherheit in der Stadt?«
»Haben Sie da auch die Einheimischen aufgemischt?«
»Wie bitte?«
»Im ganzen Hotel erzählt man sich die Story, wie Sie zwei Gangster zusammengeschlagen haben, die Ihnen ans Leder wollten. Sie sind eine Art Heldin. Bin ich froh, dass ich Sie nicht zu penetrant angemacht habe.« Er stand auf und reichte ihr die Hand. »Gute Reise.«
»Ihnen ebenfalls, Tom.«
»Sie werd ich nicht so schnell vergessen. Was man von wenigen behaupten kann, mit denen ich nicht in der Kiste war.«
»Ich Sie auch nicht.«
In der nächsten halben Stunde saß Ava allein da und las Lokalzeitungen. Die indischstämmigen Politiker nannten die schwarzen Politiker Gauner, die sie im Gegenzug als Diebe betitelten. Und irgendwo hinter den Kulissen zieht Captain Robbins die Fäden . Laut Kriminalitätsbericht hatten in der vergangenen Nacht vier Überfälle, sieben Einbrüche und zwei Mordversuche stattgefunden. Wenn sie abreiste, kam noch eine Entführung hinzu.
Jeff flirtete in der Lobby mit der Empfangsdame, als Ava aus dem Café kam. Sie winkte ihm zu. »Sind Sie noch eine Weile hier?«
»Gegen Mittag muss ich jemanden abholen.«
»Ich melde mich bei Ihnen, bevor Sie wegfahren.«
Ava zog sich ihre Sportsachen an, um noch einmal die Ufermauer entlang zu joggen. Das war eines der wenigen Dinge in Georgetown, die sie in guter Erinnerung behalten würde. Die Luft war schwül, aber klar, der Salzgeruch hatte fast etwas Läuterndes. Vorindustrielle Gesellschaften haben auch etwas für sich . Normalerweise lief sie rund fünf Kilometer, aber heute beschloss sie, noch weiter zu laufen, und kaufte in der Lobby eine Flasche Wasser. Der Portier nickte ihr zu, als sie das Hotel verließ. »Ich sage Bescheid, dass Sie jetzt loslaufen – dann haben die Gauner eine Chance, sich aus dem Staub zu machen.«
Nach sechzehn Kilometern Joggen war Ava schweißüberströmt und völlig fertig. Als sie ihr Zimmer betrat, war die Klimaanlage ausnahmsweise nicht ausgeschaltet. Die Nachrichtenanzeige auf ihrem Handy blinkte. Sie legte sich ein Handtuch um den Nacken und überprüfte die Anrufe. Onkel, Captain Robbins und Marc Lafontaine: ein Dreigestirn.
Der Captain war im Büro, und sie wurde sofort durchgestellt. Das Geld ist schon da , vermutete sie. »Die Summe ist auf unserem Konto eingegangen«, bestätigte er. »Ich bewundere Ihre Effizienz. Patrick kommt um sechs beim Hotel vorbei. Ihre Fracht holen Sie auf dem Weg zum Flughafen ab. Ich habe den Zeitpunkt Ihres Abflugs auf acht Uhr festgelegt. Ich wünsche Ihnen viel Glück.«
»Ich richte Ihrem Bruder Grüße aus«, sagte sie, doch er hatte bereits aufgelegt.
In Hongkong war es spät. Onkel hatte seine Massage und das Abendessen schon hinter sich und war vermutlich dabei, sich Wiederholungen von Pferderennen der
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