Die Weimarer Republik
hinausgezögert hatte und dass der Miturheber der Dolchstoß-Legende sein Nachfolger wurde. Hindenburg, den die Rechte gegen den aussichtsreichen Kandidaten Wilhelm Marx vom Zentrum aufgestellt hatte, wurde im zweiten Wahlgang gewählt. Er siegte mit 14,5 gegen 13,7 Mio. Stimmen, weil die katholische BVP den konservativen ProtestantenHindenburg empfahl und nicht den liberalen Katholiken Marx. Zwar bemühte sich Hindenburg anfangs, sein Amt loyal auszuüben, doch begann mit ihm ein «stiller» Verfassungswandel durch die Betonung der präsidialen Elemente der Verfassung. Je häufiger die Koalitionsverhandlungen, desto intensiver seine Einflussnahme. Mit ihm bot sich die Perspektive einer Mehrheit gegen das parlamentarische System oder eines autoritären Präsidialregimes «oberhalb» der Parteien.
Diese Perspektive wurde akut, als sich ein Linksruck in der Wählerschaft abzeichnete. Erstes Indiz war der Volksentscheid über die entschädigungslose Enteignung der Fürsten vom 20. Juni 1926. 1925 war es zu einem von den Gewerkschaften vermittelten Bündnis zwischen SPD und KPD in dieser Frage gekommen. Die SPD schloss sich der KPD-Forderung nach Entschädigungslosigkeit an, verhandelte aber insgeheim mit der Regierung. Letztlich konnte sie sich weder für die eine noch die andere Seite entscheiden: Sie war und blieb «halb Koalitions-, halb Oppositionspartei», so wie sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie linke Volkspartei oder Klassenpartei sein wollte. Das Volksbegehren fand Zustimmung bei 12 Mio. Wählern. Der Gesetzentwurf wurde mit 236: 142 Stimmen im Reichstag abgelehnt; der Volksentscheid erzielte jedoch 14,5 Mio. Ja-Stimmen. Nicht genug, um zum Erfolg zu führen, aber ca. 3,5 Mio. Stimmen mehr, als beide Parteien sonst erwarten konnten. Der SPD war der Einbruch in neue Wählerschichten gelungen. Das verlieh ihr neues Gewicht, und es wäre eine Große Koalition möglich gewesen, hätte sie den Regierungsentwurf in der Entschädigungsfrage passieren lassen. Aber die Partei lehnte ab.
Da die Enthaltung von der Macht für die Konservativen in der Enteignungsfrage beinahe zur Katastrophe geführt hatte, rückte die DNVP unter dem Einfluss des Reichslandbundes (RLB), des landwirtschaftlichen Spitzenverbandes, wieder an die Minderheitsregierung Marx heran, zusätzlich gedrängt von Hindenburg angesichts der Gefahr einer großen Koalition. Sollte eine Rechtskoalition nicht zustande kommen, schlug Kurt von Schleicher, damals noch Chef der Wehrmachtsabteilung im Reichswehrministerium, zur Jahreswende 1926/27 vor, solleHindenburg eine «Regierung seines Vertrauens ohne Befragung der Parteien und ohne Rücksicht auf deren Wünsche» einsetzen und dieser «mit der Auflösungsorder in der Tasche […] alle verfassungsmäßigen Möglichkeiten in die Hand geben, um sich im Parlament eine Mehrheit zu verschaffen». Noch konnte man darauf verzichten, weil es 1927 zur Neuauflage des Bürgerblocks mit der DNVP kam.
Der Linkstrend setzte sich jedoch in den Reichstagswahlen vom Mai 1928 fort. Mit 28,7 % holte die SPD ein Traumergebnis. Die KPD steigerte sich auf 10,6 %. Auf dem anderen Flügel verlor die NSDAP leicht (2,6 %), erzielte aber regional, etwa in Schleswig-Holstein, um die 30 %. Hauptverlierer war die DNVP, aber nicht zugunsten der radikalen Rechten, sondern zugunsten kleiner agrarischer Interessenparteien, die jetzt ihren Höhepunkt erreichten, und der mittelständischen Wirtschaftspartei. Die bürgerlich-republikanische Mitte zerbröselte: DVP, DDP und Zentrum verloren je fast zwei Prozentpunkte. Gegen die SPD konnte nicht mehr regiert werden. Doch war die Große Koalition keineswegs leichter geworden, da Teile von Zentrum und vor allem DVP erhebliche Vorbehalte hatten. Am Ende der Koalitionsverhandlungen stand ein von Stresemann vermittelter, gefährlicher Kompromiss: Ein «Kabinett der Persönlichkeiten» wurde gebildet, zu dessen Unterstützung die Parteien bis Anfang 1929 nicht verpflichtet waren; das Zentrum war nur durch einen Minister als «Beobachter» vertreten. Als Kanzler und Minister der SPD auf Druck der Fraktion gegen ihre eigene Regierungsvorlage zum Panzerkreuzer «A» stimmten, wäre die Koalition fast schon in den Anfangswochen zerbrochen. Zusammengehalten wurde sie vor allem durch die Außenpolitik. Bei den wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen erwiesen sich die Gegensätze zwischen SPD und DVP als unüberbrückbar.
Das Wahlergebnis von 1928 führte dazu, dass die
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