Die Weimarer Republik
durch die Inflation gesunkene Sparquote (10 % statt 17 %)und die unter dem Vorkriegsniveau bleibenden Realeinkommen begrenzten die Binnennachfrage.
Vor dem Hintergrund musste die Republik drei Problemfelder bewältigen, die zentrale gesellschaftliche Verteilungsentscheidungen beinhalteten: die Sanierung der Währung (die Voraussetzung für Auslandskredite war) sowie eine Steuerreform zur Sicherung der Staatsfinanzen; die Zoll- und Handelspolitik nach dem Ende der Strafbestimmungen des Friedensvertrages; die Sozialpolitik. Dabei ging es zum einen um die Verteilung der Inflationsfolgelasten (zusätzlich zu den direkten Umverteilungswirkungen der Inflation); zweitens um soziale Bündniskonstellationen, d.h. Industrie und Arbeiterschaft gegen Landwirtschaft und Mittelstand oder «Sammlung» von Industrie und Landwirtschaft gegen Arbeiterschaft und Mittelstand; drittens um den Charakter der Republik als auf Konsens beruhender Sozialstaat oder konfliktorientierte Klassengesellschaft.
In der Finanz- und Steuerpolitik widersetzte sich das Finanzministerium unter dem parteilosen, aber Industrie und DVP nahestehenden Hans Luther einer Aufwertung der de facto enteigneten Ansprüche aus Kriegsanleihen, Aktien, Rentenbriefen oder Sparbüchern. Die Vernichtung dieser Guthaben durch die Umstellung 1 Billion Mark = 1 Reichsmark betraf Kleinsparer ebenso wie Banken, Versicherungen oder Gewerkschaftskassen. Bei einer Aufwertung hätten Staat und Industrie die fast vollständige Entschuldung durch die Inflation eingebüßt und die Entschädigung der Gläubiger mit neuer Verschuldung bezahlt. Doch das Reichsgericht erzwang die Aufwertung der Schuldtitel. Als die Regierung per Notverordnung möglichst billig davonzukommen versuchte, verweigerte der Reichstag die Verlängerung des Ermächtigungsgesetzes; er wurde im Mai 1924 neu gewählt. Die Rechtsverschiebung in den Wahlen stärkte die Aufwertungsbefürworter. Im Juli 1925 wurden Hypotheken auf 25 % aufgewertet, Aktien oder Industrieobligationen auf 15 %, Sparkassenguthaben gar nur auf einen Mindestsatz von 12,5 %, wobei eine Schutzklausel die Kreditinstitute, nicht die Sparer begünstigte. Seine eigenen Altschulden begrenzte der Staat auf 12,5 % und setzte die Verzinsung bis zum Ende der Reparationenaus. Zusätzlich bediente er sich durch drei einmalige Sondersteuern. Gesetze, die die Inflationsgewinne der Schuldner abschöpfen sollten, wurden nie realisiert. Dennoch musste der Staat für einen Ausgleich bei den Einnahmen durch den Abbau von Subventionen und Leistungen einerseits und Steuererhöhungen andererseits sorgen. Fast ein Viertel seiner Beschäftigten (396.900 Beamte, Angestellte und Arbeiter) wurde entlassen, vor allem bei Bahn und Post. Die verbliebenen Beamten und Angestellten, von der Inflation bereits hart betroffen, erhielten niedrigere Gehälter, die 1924 nach Kampfmaßnahmen zweimal erhöht werden mussten. Ein Reichssparkommissar organisierte den Abbau von Dienststellen. Bei der Steuerreform standen sich zwei Positionen gegenüber: Steuerentlastung der Wirtschaft, um deren Leistungsfähigkeit zu stärken, oder Steuerentlastung der Verbraucher, um den Konsum anzuregen. Die Regierung entschied sich für die industriefreundliche Lösung. Am härtesten betroffen waren mittlere und kleine Vermögen, obwohl der Mittelstand am meisten unter der Inflation gelitten hatte. Die Arbeiterschaft wurde belastet, indem die Verbrauchssteuern um 30–50 % heraufgesetzt, die Lohnsteuern nicht gesenkt wurden.
Bei der Zoll- und Handelspolitik ging es um die Frage Schutz der Landwirtschaft oder Förderung des industriellen Exportes. Die Agrarzölle waren besonders umkämpft, da sie die Lebenshaltung verteuern und die Forderung nach höheren Löhnen auslösen, eventuell durch Gegenzölle den Export von Industriewaren erschweren würden. Der Reichstag beschloss 1925 – im Gegensatz zur Regierungsvorlage, die im Interesse der Reparationen den Vorrang von Exporten befürwortet hatte – ein Zollschema, das der Landwirtschaft entgegenkam. Agrarzölle waren der Preis, den DNVP und Agrarverbände für den Eintritt in das Kabinett forderten. Die Landwirtschaft und mit ihr die Schwerindustrie verfolgten dabei Ziele, die über handelspolitische Fragen hinausgingen. Sie wollten die wiedererlangte Handelsfreiheit zur kontinentalen Großraumwirtschaft unter deutscher Hegemonie ausbauen und den Bürgerblock interessenpolitisch abstützen. Die exportorientierte Industrie war indesimmer
Weitere Kostenlose Bücher