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Die Weimarer Republik

Die Weimarer Republik

Titel: Die Weimarer Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Mai
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von Revolution, Republik und Verfassung.
3. Gesellschaft im Wandel
    Die Gesellschaft der Republik spiegelte den Wandel der volkswirtschaftlichen Entwicklung wider: Sie war industrieller, urbaner geworden, auch pluralistischer. Sie bot Frauen, Jugendlichen, Katholiken und Juden erweiterte Chancen zur Emanzipation und Partizipation, sie öffnete sich durch Kino, Radio oder Freizeitvergnügungen einer kommerzialisierten Massenkultur. Das verstärkte nicht nur den Stadt-Land-Gegensatz, sondern auch den zwischen den Generationen und den Geschlechtern. Große Teile der Älteren, selbst in der Arbeiterschaft, blieben mental «Wilhelminer»: autoritär, traditional, misstrauisch gegenüber den neuen Freiheiten des republikanischen Alltags, emanzipativen Tendenzen allgemein.
    1933 wohnte noch ein Drittel der Bevölkerung auf dem Dorf, aber bereits ein Viertel in den Großstädten. 1910 hatte das Verhältnis 40:20 betragen. Der Krieg hatte noch einmal einen Stoß kurzzeitiger Mobilität bewirkt: für 13,2 Mio. Soldaten, dazu Hilfsdienstpflichtige, Frauen und Jugendliche, die in die Rüstungszentren geströmt waren. Doch insgesamt ging die Binnenwanderung zurück nach ihrem Höhepunkt in der Hochindustrialisierungsphase um 1900. Der Prozess der Urbanisierung beinhaltete zugleich einen kulturellen Wandel. Zwar speiste sich die Binnenwanderung noch immer zu einem erheblichen Teil aus der Landflucht, sodass weiterhin viele in der ersten Generation in diesem Umfeld lebten. Doch immer mehr Menschen wurden in städtische Lebensformen eingebunden, etwa die Trennung von Wohnen und Arbeiten, von Familie und Freizeit. Da Familienstrukturen, Religiosität, symbolische Interaktionsformen, Weltdeutungen oder politisches Bewusstseinüber ein hohes Beharrungsvermögen verfügen, entstanden Mischlagen.
    Mischlagen erzeugte auch die soziale Mobilität, die sich in Krieg und Inflation verstärkt hatte. Insgesamt war sie in der Republik höher als im Kaiserreich, aber geringer als im Dritten Reich. Die Klassenschichtung löste sich noch nicht auf, veränderte aber ihren starren Charakter. Infolge der Zunahme industrieller Arbeitsformen, von Arbeitsteilung, Rationalisierung und Qualifizierung stieg die Zahl der Angestellten- und Beamtenpositionen. Da deren Expansion vorrangig im produzierenden Gewerbe stattfand, war das mehr der Ausdifferenzierung der Industriegesellschaft geschuldet als dem Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft. Nur ein knappes Drittel der erwerbstätigen Frauen waren Arbeiterinnen (während gut die Hälfte aller Männer Arbeiter waren). Etwa ein Viertel war in den neuen Büroberufen tätig (neben 20 % als Dienstmädchen in städtischen Haushalten); sie, nicht zuletzt die Jüngeren, stellten über ein Drittel aller Angestellten. Insgesamt lag der Anteil der Frauen an der von 25 auf 32 Mio. wachsenden Zahl der Erwerbspersonen 1907–1933 fast konstant bei etwas mehr als einem Drittel.
    Neben den Veränderungen im Erwerbsverhalten belastete der demographische Wandel die Verwerfungen eines stagnierenden Arbeitsmarktes zusätzlich. Einerseits schied ein wachsender Anteil von Alten aus dem Erwerbsleben aus, der länger abgesichert werden musste. Bei Männern stieg die Lebenserwartung von 45 Jahren 1901/10 auf 60 Jahre 1932/34, bei Frauen von 48 auf 63. Andererseits wuchs infolge des Geburtenüberschusses vor 1914 der Anteil der Jugendlichen (14–25 Jahre) von 21 % 1910 auf 23 % 1925, um bis 1933 wieder auf 18 % abzusinken. Angesichts der staatlichen Daseinsvorsorge wurden Kinder nicht mehr als Krisenversicherung gebraucht, sie waren infolge längerer Aufzucht- und Ausbildungszeiten zu Kostenfaktoren geworden. Durch die Beschränkung der Kinderzahl konnte diesen der soziale Aufstieg erleichtert werden. Angestellte wiesen die kleinste Familiengröße auf, während die Kinderzahl bei Arbeitern mit sinkendem Einkommen stieg; in ländlichen und katholischenGegenden sank sie nur langsam. Um 1930 war der Trend zur Drei-, im Mittelstand zur Zwei-Kinder-Familie vorherrschend. Dazu trugen die veränderte Einstellung der Frauen zu Verhütung und Abtreibung bei wie das veränderte Erwerbsverhalten gerade der Jüngeren. Armut bzw. die Angst vor Armut waren ein weiterer Grund, sodass 1933 der Tiefpunkt der Geburtenrate erreicht wurde.
    Das ungünstige Verhältnis von Altersstruktur und Arbeitsmarkt wäre auch ohne Kriegsfolgen und Wachstumskrise eingetreten. Die Bevölkerung stieg 1907–1925 um 13,5 %, die Zahl der Erwerbstätigen um

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