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Die Weimarer Republik

Die Weimarer Republik

Titel: Die Weimarer Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Mai
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27,2 %. Lag das Verhältnis von Kindern zu erwerbsfähigen Erwachsenen (15–65 Jahre) und Alten (über 65 Jahre) 1910 bei 34:61:5, so betrug es 1933 24:69:7. Das Überangebot an Arbeitskräften war eine der Ursachen für die strukturelle Arbeitslosigkeit, die nicht zuletzt die Jüngeren traf. Die Arbeitslosenquote, vor 1914 bei 2–5 %, sank nach 1923 nicht mehr unter 10 %. Sie betraf nicht nur den industriellen Arbeitsmarkt. Ende der 1920er-Jahre kam es zu einer Akademikerschwemme, u.a. bei Juristen und Ärzten. Der akademischen wie der proletarischen Jugend drohte ein Karrierestau. Erstere konnte nach 1933 in die von Juden «frei» gemachten Arbeitsplätze einrücken, Letztere profitierte von Arbeitsbeschaffung und «Wirtschaftswunder».
    Die soziale Gliederung der Gesellschaft veränderte sich wenig. Die Unterschichten (Arbeiter, Angestellte, Hausangestellte) umfassten 1895, 1907 wie 1925 knapp 70 % der Bevölkerung. Die Arbeiter stellten etwa die Hälfte der Erwerbsbevölkerung (1907 55 %, 1925 49 %) bzw. mit ihren Angehörigen etwa die Hälfte der Bevölkerung (ca. 32 Mio.). Doch nur ein Viertel der Arbeiter lebte in den großen Städten, und nur ein gutes Drittel waren Industriearbeiter. Das war der Kern der organisierten Arbeiterbewegung. Neben den 4,7 Mio. Mitgliedern, die der ADGB 1930 organisierte (nach über 8 Mio. 1920), umschreiben die 12–14 Mio. Wähler (35–40 % der Stimmen), die SPD und KPD zusammen erreichten, grob das Gesamtpotential des Milieus. Die etwa 1 Mio. Mitglieder der anderen Gewerkschaften bzw. gewerkschaftsähnlichen Verbände gehörten nicht dazu.Bei den Angestellten waren die christlichen und liberalen Verbände erfolgreicher als die Freien Gewerkschaften. Dass sie 1926 die freigewerkschaftlichen überholten, war ein Signal für die Reorientierung des «neuen» Mittelstandes. Gerade die Angestellten hatten als Lohnabhängige ein prekäres Identitätsproblem und deshalb ein intensives Abgrenzungsbedürfnis gegenüber den Arbeitern. Aber zum Bürgertum, in das sie strebten und dem sie sich symbolisch anzunähern versuchten, gehörten sie ebenso wenig: weder das «Tippfräulein» noch der technische Beamte oder der Werkmeister. Sie blieben «zwischen den Klassen», kleinbürgerlich.
    Das letzte Drittel der Erwerbstätigen teilten sich Selbstständige und mithelfende Familienangehörige. Der Anteil der Selbstständigen, der «alte» Mittelstand, sah seinen Anteil 1882–1939 auf 13 % mehr als halbiert (auch wenn die absolute Zahl nur leicht auf 4,8 Mio. sank), vor allem nach 1925 und besonders in Handwerk und Handel. Die Zahl der mithelfenden Angehörigen in Gewerbe und Handel, meist Frauen, blieb in den familial organisierten Kleinbetrieben hoch. Ihr Anteil an den Erwerbstätigen (inkl. der Landwirtschaft) lag bei 15–17 %, mit dem Spitzenwert 1925. Da sie Indiz für die Selbstausbeutung kleiner selbstständiger Existenzen waren, war das meist nicht mit steigenden Einkommen verbunden.
    Zum Kernbürgertum gehörten 6 % der Bevölkerung. Anders als das Wirtschaftsbürgertum hatte das Bildungsbürgertum die materielle Grundlage seiner Distinktion in der Inflation teilweise verloren, aber seine Kontrolle über die höheren Bildungsinstitutionen wahren können, wenngleich die «Akademikerschwemme» das Bildungsprivileg zu entwerten schien. Aber seine kulturelle Deutungshegemonie war durch die Massenkultur infrage gestellt, während sein kulturelles und wissenschaftliches Expertentum eher eine Ausdehnung erfuhr. Insgesamt drohte es sein Selbstverständnis als unabhängige geistige Elite einzubüßen und in ein (lohn-)abhängiges, professionalisiertes Spezialistentum abzugleiten.
    Etwa 1 % der Bevölkerung gehörte dem Adel an. Der versuchte seine Exklusivität zu wahren und sich weiter ständischzu definieren. Er blieb dem «Land» verhaftet, dem er seine Identität und seine materielle Basis verdankte. Obwohl ihm Revolution und Republik die politischen und rechtlichen Privilegien genommen hatten (in Preußen fielen 1929 die letzten gutsherrlichen Rechte), war er in der industriell geprägten Gesellschaft in abnehmendem, aber immer noch gestaltungsfähigem Maße politisch mächtig geblieben. Sein hoher Anteil in Verwaltung und Militär, Parteien und Verbänden, seine sozialen Netzwerke, administrativen Routinen und erworbenen Qualifikationen eröffneten ihm weiter erhebliche Chancen der Einflussnahme und Selbstbehauptung.
    Das Dorf als Genossenschaft des Helfens und Dienens war

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