Die Weimarer Republik
weniger bereit, der Landwirtschaft eine Sonderrolle zuzugestehen. Ein Kompromiss kam 1925 erst zustande, als die Schwerindustrie ihr 50–100 Millionen Mark jährlich als Ausgleich für die Zollschranken zusagte.
Das Bündnis von Industrie und Landwirtschaft blieb brüchig. Die Schwerindustrie unterstützte das von Hindenburg geforderte «Osthilfe»-Programm, um die konservativen ländlichen Hochburgen zu stabilisieren. Die Exportindustrien hielten jedoch an dem Ziel fest, die Landwirtschaft dem Druck des Weltmarktes auszusetzen, um ein Sinken der Lebenshaltungskosten und damit der Lohnkosten zu erreichen. «Modernisierung» hieß das Zauberwort, ja «Industrialisierung der Landwirtschaft». Dafür wollte die Industrie über fünf Jahre 1 Mrd. RM zur Verfügung stellen. Doch die Weltwirtschaftskrise entzog dem Plan die Grundlagen, und nach dem Ende der Großen Koalition hatte die Landwirtschaft es nicht mehr nötig, die Bedingungen der Industrie zu akzeptieren. Aus dem Grund scheiterte auch der Versuch, der Landwirtschaft durch «Organisation» und «Marktregulierung» zu mehr Effizienz zu verhelfen. Die Gründung des Getreidemonopols war die letzte Aktion der Großen Koalition, wobei die SPD wieder einmal zur Stabilisierung ihrer Gegner bereit war, indem sie 1929 Zollerhöhungen und Subventionen zustimmte. Der durchaus «moderne» Vorschlag ihres Agrarexperten Fritz Baade, Schwankungen in Versorgung und Preisen durch Subventionen, Garantiepreise oder Quotenregelungen auszugleichen, kam über Ansätze nicht hinaus.
Ebenfalls 1928/29 endete auch die Bereitschaft der exportorientierten Industrie, zu einem Ausgleich mit den Gewerkschaften zu kommen. Mit der Forderung nach «Entlastung der Produzenten» durch Senkung der Lohn- und Lohnnebenkosten sowie der Steuern stellte sie den Sozialstaat infrage. In den meisten Industriestaaten stieg die Lohnquote (Anteil am Volkseinkommen) in der Zwischenkriegszeit um etwa 10 Prozentpunkte. In Deutschland nahm sie 1913–1929 von 46,4 auf 59,8 % zu, wuchs in der Krise bis 1931 auf 61,2 %, um bis 1939 wieder auf 55 % zu sinken. In Großbritannien lag sie bei 55–57 %, in Frankreichum 50 %. Zugleich erhöhte sich der Anteil der Renten und Pensionen von 3 % 1913 auf 20,7 % 1932 (1936 11,8 %). Mit dieser Verschiebung zu den Ausgaben für Konsum rückte die Sozialpolitik in den Mittelpunkt der Konflikte: als Kostenfaktor durch Steuersubventionierung und Lohnnebenkosten.
In der Sozialpolitik beherrschten drei Komplexe die Konflikte dieser Jahre, die typisch sind für industrielle Gesellschaften, die aber weniger als Kosten- denn als Machtfrage behandelt wurden: Arbeitszeit, Tarifpolitik und Arbeitslosenversicherung. Der Achtstundentag, in der Revolution zugestanden, wurde seit 1919 von den Arbeitgebern mit dem Argument zu hoher Lohn- bzw. Produktionskosten wieder infrage gestellt, besonders 1923. Obwohl die Regierung erneut den Achtstundentag per Notverordnung als Regelarbeitstag festschrieb, arbeiteten 1924 55 % der Gewerkschaftsmitglieder mehr als 48 Stunden in der Woche. Trotz erbitterter Arbeitskämpfe war eine Reduktion der Mehrarbeit nur bei 45 % der Beschäftigten zu erreichen.
In der Tarifpolitik konnten die Gewerkschaften in Zeiten des Bürgerblocks Erfolge erzielen, weil Arbeitsminister Brauns (Zentrum) ihnen den Rücken stärkte. 1919 war die staatliche Regelungskompetenz in Gestalt von Zwangsschlichtung und Verbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen festgeschrieben worden, sollten die Arbeitsmarktparteien sich nicht einigen. 1924–1932 wurden 77.224 Schlichtungsverfahren durchgeführt und 3979 Verbindlichkeitserklärungen ausgesprochen. 1928/29 waren etwa zwei Drittel aller tariflich erfassten Arbeitnehmer von Schlichtungsverfahren betroffen, davon die Hälfte von Zwangsschiedssprüchen. In den Branchen, in denen die Arbeitgeber Tarifverträge schon vor 1914 akzeptiert hatten, wurde dagegen bis 1925 nicht ein Tarifvertrag für verbindlich erklärt. Anders sah es im Bergbau aus mit 96,2 % Zwangsschlichtungen oder in der Metallindustrie mit 70,7 %. Die Unternehmer warfen dem Staat vor, er betreibe Lohntreiberei, um die Arbeiterschaft ruhig zu halten («politische Löhne»). Es zirkulierte das Wort vom «Gewerkschaftsstaat».
Nachdem Rudolf Hilferding (SPD) 1925 auf die Bedeutung der Eroberung der politischen Macht hingewiesen hatte, da mitihrer Hilfe Löhne oder Arbeitszeit maßgeblich mitbestimmt würden, zogen die Unternehmer den Schluss, man müsse
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