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Die Weimarer Republik

Die Weimarer Republik

Titel: Die Weimarer Republik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Mai
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wirtschaftsrevolutionärer Ziele» werde. Nach dem Wahlsieg bestand die Gefahr, dass SPD und Gewerkschaften ihr Projekt einer «Wirtschaftsdemokratie» vorantrieben. Als der Staatshaushalt durch die Arbeitslosenversicherung belastet wurde und die Zwangsschlichtung zu neuen Lohnbelastungen zu führen drohte, schien die Zeit für eine Gesamtrevision gekommen. Mit der Denkschrift «Aufstieg oder Niedergang» vom Dezember 1929 forderte die Industrie Entlastung der Kapitalbildung, Senkung der öffentlichen Ausgaben wie der Steuern, Lohnabbau und Erhöhung der Verbrauchsabgaben. «Die Sozialpolitik ist ein notwendiges Korrelat der kapitalistischen Wirtschaft; sie ist aber keine Vorstufe zu einer sozialistischen Wirtschaft.» Es ging also um die «grundlegenden Fragen der innenpolitischen Machtverteilung», um die «radikale Umkehr in der Staatspolitik». Noch repräsentierten Paul Reusch oder Hugenberg mit ihrer Sympathie für autoritäre Lösungen nur eine Minderheit. Aber die Mehrheit der Industriellen verweigerte die notwendigen politischen Opfer, um die «neue industrielle Mitte» der Großen Koalition zu stabilisieren, die durch die Spaltung der Arbeiterbewegung möglich geworden war.
    Vor diesem Hintergrund und im Zeichen der sich zuspitzenden Krise galt es im Winter 1929/30, die Reichsfinanzen im Hinblick auf den Young-Plan zu sanieren, die Kapitalbildung der Wirtschaft zu fördern sowie die Reparationslasten neu zu verteilen. Da vom Young-Plan eine jährliche Entlastung von 464,4 Mio. RM erwartet wurde, hatte die Industrie – im Gegensatz zur extremen Rechten – Interesse an einer Kooperation mit der SPD. Wenn diese Ersparnis für steuerliche Entlastungen der Industrie genutzt würde, blieb für die Subvention der Arbeitslosenversicherung kein Spielraum. Im Herbst 1929 waren jedoch durch das Vorjahresdefizit und konjunkturell bedingte Einnahmeausfälle sämtliche Einsparungen des Young-Planes aufgezehrt. Eine Entlastung der Wirtschaft war nur durch Beschneidungder Staatsausgaben zu finanzieren. Dafür kam vor allem die Arbeitslosenversicherung infrage.
    Es ging um eine Grundsatzfrage, in der sich das gesamte sozialpolitische, ja staatspolitische Konfliktpotential konzentrierte. Der Konflikt nahm unversöhnliche, durch die Massennot verschärfte Formen an, sodass ein Kompromiss unmöglich wurde. Die Gewerkschaften wollten die Beiträge auf 4 % erhöhen, zuletzt auf 3,75 %, ergänzt durch «eine auf Behebung der Arbeitslosigkeit gerichtete Arbeitsmarktpolitik». Die Arbeitgeber verlangten die Senkung der Leistungen bis zum Finanzrahmen der vorhandenen Mittel, obwohl mit steigender Arbeitslosigkeit das Beitragsaufkommen sank. Während die Parteien der Mitte und der Rechten jede Erhöhung der direkten Steuern, ein Notopfer der Beamten oder höhere Beiträge zur Arbeitslosenversicherung verweigerten, wies die SPD das Anheben der Massensteuern zurück. Gewerkschaften und SPD sahen keine Einigungsmöglichkeit und lehnten einen Kompromissvorschlag Brünings ab, der den Konflikt auch lediglich vertagen sollte. Die SPD schied aus der Regierung aus und übernahm damit die Verantwortung für das Scheitern der Koalition.
    Doch der Kompromiss hätte weder Regierung noch Republik gerettet. Denn der Sturz der Großen Koalition war längst vorbereitet. Zwar kam es Anfang März 1930 zu einer Einigung im Kabinett, die die Gemäßigten beider Seiten herbeiführten, doch scheiterte diese in den Fraktionen wie in den den Parteien nahestehenden Interessenverbänden. Die Kamarilla um Hindenburg, die DVP und die Schwerindustrie betrieben den Sturz der Regierung – eben weil eine Einigung drohte. Seit dem Frühjahr 1929 wurden neue Pläne für eine autoritäre Lösung geschmiedet, die im Dezember 1929 klarere Konturen gewannen, als Brüning zur Leitung eines «Hindenburg-Kabinetts» gedrängt wurde, eines «antiparlamentarischen» und «antimarxistischen» Kabinettes der «Fachleute» und «Beamten», das unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Reichstag war. Diese Planungen, bei eingeweihten Politikern unter der Hand bekannt, lähmten den Einigungswillen im März 1930. Zudem wurde die SPD nicht mehr benötigt, nachdem der Young-Plan durch denReichstag gebracht worden war. Die Republik scheiterte nicht an einem Viertelprozent Beitragserhöhung zur Arbeitslosenversicherung. Denn darum ging es nicht, wie Brüning wusste, als er seinen Kompromiss vorschlug. Es ging um die innere Revision – um die Beseitigung der «Fesseln»

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