Die weise Frau
erbleichte.
»Es wird behauptet, du hättest meinen Tod prophezeit«, sagte der alte Lord. »Du hättest gesagt, daß du Herrin der Burg werden und Lord Hugo einen Sohn und Erben gebären würdest. Und es wird behauptet, du hättest prophezeit, daß all das schon in zwei Jahren passieren wird.«
Alys schüttelte den Kopf. »Das ist nicht wahr, Mylord«, sagte sie voller Zuversicht.
Hugo beugte sich vor. »War es ein Traum, Alys?« sagte er voller Hoffnung. »Erinnerst du dich an nichts?«
Alys sah kurz in seine Richtung, dann wandte sie sich wieder dem alten Lord zu. »Das hab ich nicht gesagt.«
Der alte Lord sah zu Pater Stephen. »Es besteht die Möglichkeit, daß das Mädchen in Trance war und jetzt die Wahrheit sagt, soweit sie sich daran erinnern kann«, sagte der Priester fairerweise. »Wenn sie eine echte Hellseherin ist, könnte es so sein. Ich habe schon von einigen heiligen Propheten gehört, die die Zukunft weissagten, ohne zu wissen, was sie sagten. Es gibt Berichte davon in den Evangelien, das Reden mit fremden Zungen und andere Wunder. Aber es könnte auch eine Falle des Teufels sein.«
»Hast du das zweite Gesicht, Alys?« fragte der alte Lord.
»Wohl kaum«, sagte sie giftig. Angesichts der erstaunten Blicke ergänzte sie wütend: »Wenn ich das zweite Gesicht hätte, Mylord, würde ich nicht hier stehen und mich von Lady Catherine, die mich vom ersten Augenblick an gehaßt hat, der Hexerei bezichtigen lassen. Wenn ich das zweite Gesicht hätte, wäre ich heute weit weg von dieser Burg. Und wenn ich wirklich das zweite Gesicht hätte, wäre ich in Morachs Hütte nicht hilflos gewesen, als Eure Männer kamen und mich gegen meinen Willen mitgenommen haben.«
Der alte Lord mußte lachen. »Was war dann mit diesen Worten von dir, diesen Weissagungen, Alys?« fragte er.
Alys, die unter ihrem dunkelblauen Kleid schweißüberströmt war, lachte. »Ein Traum, Mylord«, sagte sie. »Ein närrischer Traum. Ich hätte wissen müssen, daß ich den nicht träumen und schon gar nicht aussprechen darf. Aber ich war betrunken und voller Begierde.«
Hugo beugte sich vor und sah die Schweißtropfen auf ihrer Stirn glänzen. »Du hast es vorgetäuscht?« fragte er.
Sie drehte sich um und sah ihn mit den unschuldigen Augen eines Kindes an. »Natürlich, Mylord«, sagte sie. »Glaubt Ihr denn, ich weiß nicht, daß Ihr Frauen nehmt und sie, wenn Ihr sie benutzt habt, einfach verstoßt? Ich wollte, daß Ihr mich begehrt, ich wollte, daß Ihr mich nehmt, und ich wollte, daß Ihr mich für etwas Besonderes haltet. Also hab ich so getan, als hätte ich das zweite Gesicht, und habe Euch alles, was Euer Herz begehrt, versprochen. Ich wollte Euch durch diese List nur dazu bringen, mir treu zu sein.«
Hugos Augen wurden schmal. »Du hast mich schon immer begehrt?« fragte er.
Alys begegnete offen seinem Blick. »Oh, ja«, sagte sie. »Ich dachte, das wüßtet Ihr.«
Er hörte die Lüge so klar und deutlich wie die Morgenglocke, nickte aber. »Das erklärt alles«, sagte er. »Frauenlist und alberne Spielchen.« Er erhob sich und streckte sich. Sein Kopf berührte die geschnitzten und bemalten Balken. »Seid Ihr zufrieden, Sir?« fragte er seinen Vater. »Das Weib hat Schlingen ausgelegt, um mich zu fangen — « ein reumütiges Grinsen, »und mit Erfolg.«
Er wandte sich an Lady Catherine. »Ich muß mich bei Euch entschuldigen, Madam. Ich war scharf auf eine andere — und das nicht zum ersten Mal. Wenn ich mit Euch allein bin, werde ich Euch reichlich entschädigen.« Sein Lachen war leise und verführerisch. »Ich werde alles tun, was Ihr befehlt«, sagte er.
Catherines Hand griff nach ihrem Hals, als müsse sie ihren Puls beschwichtigen. »Es ist noch nicht vorbei«, sagte sie.
Der alte Lord lehnte sich in seinem Stuhl zurück und zog sich mit dem Fuß einen Hocker heran. »Warum?« fragte er. »Das Weib hat sich der Lügnerei schuldig bekannt und erklärt, daß ihre Prophezeiung falsch war. Wir verstehen, warum sie gelogen hat. Die Burg ist, weiß Gott, groß genug, Catherine. Ich werde dafür sorgen, daß sie Euch nicht über den Weg läuft. Ihr könnt sorglos in Eurem Bett ruhen, jetzt da Ihr Hugo wieder habt. Das Weib ist eine Lügnerin und eine Schlampe.« Er grinste Alys an. »Nichts Schlimmeres.«
»Sie sollte das Gottesurteil erfahren«, bestand Lady Catherine. »Darin waren wir uns alle einig. Sie soll auf die Probe gestellt werden.«
Alys stöhnte unwillkürlich vor Angst. Lady Catherine strahlte
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