Die weise Frau
Haube hoch, lächelte insgeheim und trat aus der gezeichneten Figur am Boden.
Sie kippte das Wasser zurück in das Faß. Sie hängte die Schüsseln wieder an ihre Haken und verwischte mit einer achtlosen Bewegung das Fünfeck in dem Staub am Boden. Sie löste den Beutel von ihrem Gürtel. Morachs Wachspuppen lagen kühl in ihrer Hand. Alys drehte sie, lächelte über das genaue Abbild von Hugos Gesicht, aber ihr Gesicht verhärtete sich, als sie die Puppe von Catherine mit ihrem obszönen Schlitz sah. Sie ging zu dem Stapel Feuerholz, das neben dem Ofen aufgeschichtet war, und zog ein Scheit von unten heraus. Sie schob die Wachspuppen, so weit es ging, nach hinten und legte dann vorsichtig das Scheit wieder davor. Sie trat zurück und musterte kritisch den Stapel. Es sah aus, als hätte es immer da gelegen. Sie nahm eine Handvoll Staub vom Boden und blies ihn vorsichtig über das Scheit, damit es genau so blaß und staubig aussah wie die anderen. »Versteckt euch, meine hübschen Kleinen, bis ich euch hole.«
Dann setzte sie sich vors Feuer und ließ sich wärmen.
Und erst jetzt kam ein Diener außer Atem über den Hof gelaufen und warf einen nicht sehr hoffnungsvollen Blick in das verlassene Backhaus.
»Der Lord will Euch sehen«, keuchte er. »Sofort. Ich hatte Schwierigkeiten, Euch zu finden.«
Alys sagte mit desinteressiertem Achselzucken: »Sag ihm, du konntest mich nicht finden«, sagte sie. »Ich habe ohne Erlaubnis Lady Catherines Gemach verlassen. Ich hab den Kopf verloren. Ich will ihr nicht dienen oder ihm oder sonst irgend jemandem. Sie ist wahrscheinlich zu ihm gerannt, um sich über mich zu beschweren. Ich werde nicht hingehen.«
Der Diener zeigte kein Mitleid. »Ihr werdet gehen müssen«, sagte er. »Sie sind alle versammelt. Der junge Lord und das zänkische Weib, der alte Lord und der Priester. Sogar Eliza Herring ist dabei. Sie wollen Euch sehen. Ihr solltet besser gehen, und zwar schnell.«
Alys' blaue Augen bohrten sich in die seinen. »Was machen die denn alle dort?« fragte sie. »Was hat Pater Stephen dort zu schaffen? Und Lord Hugo? Was wollen sie denn von mir?«
»Da ist ein Streit im Gange«, sagte er. »Lady Catherine tobt, und der alte Lord ist, glaube ich, auf ihrer Seite. Aber Ihr müßt hingehen.«
Alys nickte. »Ich komme. Lauf los und sag ihnen, ich bin unterwegs.«
Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Kleides übers Gesicht, kämmte sich die langen Locken mit den Fingern hinter die Ohren und zog die Haube zurecht, daß keine Haarsträhne mehr zu sehen war. Dann richtete sie das lange Mieder des blauen Kleides gerade, schüttelte den schlichten blauen Unterrock zurecht und machte sich auf den Weg.
Lord Hughs Tür stand offen. Sie wurde erwartet. Alys trat beherrscht, hoch erhobenen Hauptes und mit trotzigem Gesicht in den hellerleuchteten Raum und hörte, wie die Tür hinter ihr zuschlug.
Sie stellte sich vor den alten Lord. Am Rande ihres Bewußtseins registrierte sie, daß Lady Catherine hinter ihm stand, die Hand besitzergreifend um die geschnitzte Lehne des Stuhls gelegt. Triumph sprach aus ihren Augen. Der Priester stand ein Stück weg vom Feuer am Fenster, vor ihm auf dem Tisch lag eine schwarze Bibel und daneben ein silbernes Tablett, mit weißem Leinen bedeckt. Neben ihm stand Eliza, mit vor Angst aufgerissenen Augen. Alys sah sie kurz an und bemerkte, daß ihre Hände zu Fäusten geballt waren, den Daumen zwischen den dritten und den vierten Finger geklemmt, das Zeichen des Kreuzes, der uralte Schutz gegen eine Hexe. Alys' blaue Augen wurden ein bißchen dunkler. Allmählich begriff sie, was ihr bevorstand.
Am weitesten abseits war der junge Lord Hugo. Er lümmelte in einem Stuhl, hatte seine Beine ausgestreckt und die Hände tief in den Taschen seiner Reithosen vergraben. Sein Gesicht unter der Kappe war düster und verstockt. Er begegnete Alys' Augen mit einem zornigen, warnenden Blick.
Alys stellte sich wortlos der Gefahr. Sie schaute noch einmal zum alten Lord und musterte sein Gesicht. Er war bleich, und seine Hände auf den geschnitzten Lehnen des Stuhles zitterten.
»Es sind schwere Vorwürfe gegen dich vorgebracht worden, Alys«, sagte er. »Die schlimmste Anklage, der sich ein Christ stellen muß.«
Alys sah ihm direkt in die Augen.
»Und die wäre, Mylord?« fragte sie.
»Hexerei«, erwiderte er.
Lady Catherine konnte sich ein leises Stöhnen nicht verkneifen, wie eine Frau auf dem Höhepunkt der Lust. Alys sah sie nicht an, aber sie
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