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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Dienerin ist, gegen die nichts spricht außer deine Gelüste, Hugo, und ihre besondere Begabung. Wir machen, was der Priester vorgeschlagen hat. Sie wird unter Eid geweihtes Brot essen, und wenn sie daran erstickt, werden wir wissen, was zu tun ist.«
    Elizas Augen waren von Entsetzen geweitet. »Soll ich gehen?« fragte sie.
    »Bleib!« sagte der alte Lord verärgert. »Wo ist das Weib?«

9
    Nachdem Alys aus dem Damengemach gestürmt war, rannte sie bis zum Außentor, ehe sich ihre Schritte verlangsamten. Die Luft war eisig und trocken, es roch nach Schnee. Die Stadt war verschlossen und still. Zu Morachs Hütte würde sie zu Fuß einen halben Tag brauchen. Ansonsten gab es keinen Ort, an den sie gehen konnte, außer zurück in die Galerie, zum Haß und der Schadenfreude der Weiber.
    Ihr Kopf dröhnte immer noch vom Wein und dem plötzlichen Aufbrausen ihrer Wut. Sie wanderte langsam weiter, vorbei an den Kräuterbeeten, zum Brunnen in der Mitte des kleinen Gartens. Sie zog den Eimer hoch und trank von dem eisigen, modrigen Wasser, schmeckte, wie die Fäule sich auf ihren Gaumen legte. Dann ging sie weiter, vorbei an der Großen Halle, zum Backhaus, einem kleinen Gebäude, das rund wie ein Bienenkorb zwischen der dräuenden Schwärze des Gefängnisturms und dem Medizingarten des Schlosses saß. Alys schob die kleine Tür auf und lugte neugierig hinein.
    Es war warm und still. Die zwei großen runden Öfen speicherten die Hitze lange Zeit. Der Boden, die Tische, die Regale, ja sogar die Messingschüsseln an ihren Haken waren von einem dünnen, weißen Mehlfilm überzogen. Die Bäcker waren nach ihrer morgendlichen Arbeit verschwunden — das Brot für Frühstück, Mittag- und Abendessen wurde in einer langen, mühsamen Schicht gebacken. Sie waren in die Stadt gegangen, um sich eine Bierkneipe zu suchen, oder in die große Burghalle, wo sie spielten oder vor sich hindösten. Alys trat leise ein und zog die Tür hinter sich zu. Der Raum duftete nach frischgebackenem Brot. Sie sank im weißen Staub vor dem Herd auf die Knie und merkte, daß ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Einen Augenblick lang war sie wieder in der Abteiküche und sah den Laienschwestern bei ihrer Arbeit zu. Einen Augenblick lang erinnerte sie sich an das süße weiße Brot, aus eigenem Mehl geknetet, in ihren eigenen Öfen gebacken, an den heißen, wärmenden Geschmack frischgebackener Brötchen zum Frühstück nach der ersten Morgenandacht.
    Alys schüttelte den Kopf, nahm den dicken Saum ihres dunkelblauen Kleides und rieb sich die Augen. Dann setzte sie sich auf ihre Fersen und starrte lange in die warme Glut des Feuers.
    »Feuer«, sagte sie nachdenklich. Dann erhob sie sich und nahm zwei kleine Schüsseln von der Wand. Eine füllte sie mit Wasser aus dem Faß neben dem Tisch. Sie stellte sie vors Feuer.
    »Wasser«, sagte sie leise.
    Sie nahm eine Handvoll kalter Asche, gefallenen Ruß und Ziegelstaub aus dem rückwärtigen Teil des Kamins. »Erde«, sagte sie und häufte sie vor sich auf. Dann nahm sie die leere Schüssel, um das Viereck zu vollenden. »Luft«, sagte sie.
    Sie zeichnete ein Dreieck in das verschüttete Mehl und die Asche auf dem Steinboden und verband somit die drei Punkte von Feuer, Erde und Wasser. »Komm«, flüsterte sie. »Komm, mein Gebieter, ich brauche deine Macht.«
    Es war still im Backhaus. Auf der anderen Seite des Hofes, in der Küche, entbrannte ein Streit, knallende Türen krachten. Alys hörte nichts.
    Sie zeichnete ein weiteres Dreieck, umgedreht, die drei Punkte von Wasser, Erde und Luft verbindend.
    »Komm«, sagte sie wieder. »Komm, mein Gebieter, ich brauche deine Macht.«
    Sie erhob sich behutsam, zog ihr Kleid so vorsichtig hoch wie eine Frau, die die Trittsteine über einen reißenden Bach betritt. Sie trat über die Linie, brach die Grenzen, stieg in das Fünfeck. Sie drehte den Kopf nach oben, ihre Kopfbedeckung glitt herunter, und sie schloß ihre Augen. Sie lächelte, als wäre irgendeine Kraft in sie geströmt aus dem Feuer, dem Wasser, der Erde und der Luft — aus den Zeichen unter ihren Füßen, aus der Luft, die um ihr Haupt knisterte und glühte, aus der strahlenden Wärme des Backhauses, die plötzlich heiß und erregend wurde.
    »Ja«, sagte sie.
    Mehr war da nicht.
    Alys blieb einen Augenblick lang still stehen, spürte, wie die Kraft durch ihre Fußsohlen aufstieg, sog sie mit jedem Atemzug ein, spürte, wie sie ihre Finger kribbeln ließ. Dann richtete sie ihr Haupt auf, zog ihre

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