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Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds

Titel: Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Surowiecki
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widersprechenden Meinungen zu fördern, neigen konsensorientierte Gruppen – vor allem, wenn deren Mitglieder einander persönlich bekannt sind – dazu, in vertrauten Bahnen auszuharren und provokative Diskussionen zu ersticken. Sollte die sprichwörtliche Wendung Recht haben, derzufolge ein Kamel das Werk eines Komitees ist, das ein Pferd entwerfen sollte, so war das Komitee mit Sicherheit auf dem Konsensweg.
    Diese Haltung à la »Nun wollen wir mal alle nett zueinander sein« verschlimmerte das Problem der scheinbar endlosen Managementebenen, die sich die meisten Unternehmen nach Ende des Zweiten Weltkriegs zulegten. Paradoxerweise führte das Bemühen, den Entscheidungsprozess möglichst allumfassend zu gestalten, nicht zu einer geringeren, sondern zu einer größeren Isolierung der Spitzenmanager von den ehrlichen Meinungen der übrigen Unternehmensangehörigen. Bevor eine Entscheidung getroffen werden konnte, musste die Sache alle Ebenen der Management-Hierarchie durchlaufen haben. Und da die Entscheidung auf jeder Ebene von einem Komitee geprüft wurde, wurde die Sache mit jedem neuen Schritt, der sie weiter von der Arbeitsfront entfernte, noch mehr verwässert. Bei General Motors musste beispielsweise eine verhältnismäßig einfache Angelegenheit wie eine neue Scheinwerferform in fünfzehn Konferenzen diskutiert werden, an deren letzten fünf (!) wunderlicherweise der CEO teilnahm.
    Fünfzehn Konferenzen – so etwas zeigt, dass selbst ein Unternehmen, das den Entscheidungsprozess wirklich demokratischer zu gestalten suchte, unter Demokratie eher endloses Diskutieren als eine breitere Verteilung der Entscheidungsmacht verstand. Es illustriert auch die bürokratische Verhärtung, die amerikanische Unternehmen in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts durchmachten. Die endlos vielen Schichten des Managements schwächten die Bereitschaft, für die eigene Arbeit Verantwortung zu übernehmen. Manager glaubten, sie könnten sich einfach hinter die von ihren Untergebenen eingereichten Empfehlungen stellen und diese dann an die jeweiligen direkten Vorgesetzten weiterreichen. Da andererseits die Untergebenen wussten, dass letzten Endes ihr Boss die Verantwortung für die weitergeleiteten Informationen trug, nahmen sie wiederum an, er würde schon dafür sorgen, dass alles auf dem richtigen Weg sei. Und da weniger die Macht als die Illusion von Macht delegiert wurde, bestand für Arbeiter am unteren Ende wenig Anreiz, Eigeninitiative zu zeigen.
    Trotz all seiner Unzulänglichkeiten war der Typus des amerikanischen Unternehmens im 20. Jahrhundert betreffs kostengünstiger und effizienter Massenproduktion jedoch ohne ernsthafte Konkurrenz, und in den siebziger Jahren hatten viele US-Firmen die Fähigkeit zur Koordinierung ihrer verschiedenen Bereiche verloren. Nun mag es den Anschein haben, als ob Unternehmen sich um eine Koordination nicht zu sorgen hätten, da sie ihr Personal schließlich per Kommando koordinieren könnten. Obwohl der Einsatz von Rang und Macht in der Fertigungshalle und in der Zentrale besser funktioniert als im täglichen Leben, wäre es jedoch vergebene Liebesmüh, ein ganzes Unternehmen durch Befehl und Kontrolle zu führen. Es ist viel zu zeitaufwändig; es erfordert viel zu viele Informationen – Informationen, mit denen Spitzenkräfte sich eigentlich nicht abgeben sollten; und es schwächt die Initiative von Arbeitern und Angestellten. Und eine nicht von oben diktierte Koordination hat das Potenzial, ein Unternehmen schlanker und flexibler zu machen – das aber ist nur dann möglich, wenn die Macht nicht in der Unternehmensspitze konzentriert ist oder so viele Managementebenen existieren, dass es notwendig wird, andere herumzukommandieren, weil die vielen Manager sonst nichts zu tun hätten. Auf amerikanische Unternehmen der siebziger Jahre traf beides zu. So trennten zum Beispiel den Vorstandsvorsitzenden bei Ford mehr als 15 Managementstufen von einem Werkshallenaufseher. Bei Toyota gab es deren bloß fünf.
    Dafür hatten die US-Unternehmen im Fertigungsbetrieb einen hohen Preis zu zahlen. Man betrachte nur folgende Geschichte über eine Fabrik von General Motors im kalifornischen Van Nuys; erzählt hat sie Maryann Keller in ihrem Buch Rude Awakening [»Unsanftes Erwachen«]. Dort bemerkte ein Aufseher, dass zwei Arbeiter am Fließband einen Halter zur Befestigung des Sonnenschutzes einzubauen versäumten. Wenn dieser Halter nicht einmontiert würde,

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